Holtenauer Geschichte

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Oskar Kusch - Briefe und Texte

Briefe aus dem Besitz meines Großonkels Werner Winter, ehemaliger Kommandant von Oskar-Kusch auf U-103:


***


Oskarheinz Kusch
Berlin-Steglitz, den 28.8.46

Herrn
Korvettenkapitän Werner Winter

Haltwhistle / Northumberland

Mein lieber und sehr verehrter Herr Winter! Seit langem hat mich nichts mehr so sehr erfreut wie Ihre Zeilen vom 11.8.46, weiss ich doch erstens, dass Sie leben und anscheinend auch gesund sind und zweitens, dass Sie auch darüber informiert sind, was ich zur Rehabilitation meines einzigen Jungen, den Sie ja auch als Mensch und Kamerad so sehr schätzen, unternommen habe. Mein Junge war, wie man so sagt, ein smarter Kerl und ein nach jeder Richtung hin anständiger Charakter, und ich vermisse ihn doch sehr. Wenn ich ihn auch durch die eingeleitete Strafaktion natürlich nicht wiederbekomme, so halte ich es doch für meine verdammte Pflicht und Schuldigkeit, unter allen Umständen dafür zu sorgen, dass seine Mörder, darunter auch Dönitz, den ich noch nachträglich des Mordes an meinem Sohn angeklagt habe, ihrer gerechten und wohlverdienten Strafe zugeführt werden, und müsste ich dieserhalb Himmel und Hölle in Bewegung stürzen. Wir - er und ich - hatten das Verbrechen des wahnsinnigen Utopisten Hitler gleich zu Anfang des Krieges erkannt und seine Folgen durchschaut und wussten, dass es zum vollständigen Ruin Deutschlands führen musste und auch unbedingt kommen würde. Nur mein Sohn hat in seiner Lebensunerfahrenheit trotz meiner Warnung Lumpen gegenüber zu früh gesprochen, und das war sein Verderben. Aber er hat sich selbst in seiner politischen Ansicht und Überzeugung die Treue gehalten - und wer könnte irgend einer Sache treu sein, ohne sich selber treu zu bleiben - und sein Vorbild wird daher vielen jungen Menschen helfen den verloren gegangenen Glauben an sich selber wiederzugewinnen und wenn dem so ist, dann war der Tod meines Sohnes ideell genommen nicht ganz zwecklos.

Ich habe von der Oberstaatsanwaltschaft Kiel, bei der ich das Strafverfahren angängig gemacht habe, vor einigen Tagen die Nachricht erhalten, dass die Aufenthaltsorte der Angeklagten bis auf Abel und Druschel von allen am Morde Beteiligten bekannt sind und nun muss man das weitere abwarten. Das Urteil an meinem Sohn ist ein Wahnsinn, wie er wohl noch von keinem Gericht in der ganzen Welt verzapft worden ist und deshalb auch gemeiner Mord. Versagt hat natürlich vollständig sein Verteidiger, der Rechtsanwalt Meyer-Grieben in Kiel, weil er als Mitglied des NSRB nicht wagte entsprechend aufzutreten, trotzdem auch er von der Unschuld meines Sohnes überzeugt war. Der Herr Oberstaatsanwalt in Kiel spricht vorsichtigerweise in seinem Schreiben nur von einer "Rechtsbeugung". Es handelt sich aber um einen gemeinen Mord aller Angeklagten. Da ich gute Beziehungen zum Internationalen Gerichtshof in Nürnberg habe, über den auch der Artikel "Der Fall des Oberlt. zur See Kusch" in die Neue Zeitung[^nz] gelangt ist, so werde ich schon mit Gottes Hilfe und mit meinem gesunden Menschenverstand die Mörder meines Sohnes mit Erfolg bekämpfen und sie genau dahin bringen, wo sie ohne Bedenken so viele andere unschuldig hingebracht haben oder selbst in diesem Kampf zugrunde gehen. [^nz]: Der Artikel der "Neuen Zeitung" findet sich unten auf der Seite. Hoffentlich führt Sie, mein lieber und verehrter Herr Winter, ein gütiges Geschick recht bald aus der Gefangenschaft in die Arme Ihrer Lieben und Sie finden dann daheim Ihre verehrte Frau Gemahlin und Ihre Kinder alle wohlauf. Wenn Sie an Ihre Gattin nach Erhalt dieser Zeilen schreiben, bitte ich Sie, sie herzlichst zu grüßen, denn sie war eine überzeugte Antifaschistin und Feindin des Hitlerregimes und auch sonst eine tapfere Frau, die ich ausserordentlich schätze und verehre.

Und nun vielen Dank für Ihre lieben Zeilen, verbunden mit der Bitte, wieder einmal etwas von sich hören zu lassen, wenn Sie Lust und Laune dazu haben. Vielleicht fügt es ein gütiges Geschick, dass wir uns doch noch persönlich kennen lernen und mündlich über alles unterhalten können, was uns bewegt.

In dieser Hoffnung bin ich mit den herzlichsten Grüssen und Wünschen für Ihr ferneres Wohlergehen

Ihr Oskarheinz Kusch

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Oskarheinz Kusch

Berlin-Steglitz, den 11.10.1946

Meine liebe und sehr verehrte Frau Winter!

Vor allem tausend Dank für Ihre so lieben Zeilen vom 26.8.46, und das anliegende Bild von Ihnen und Ihren Kinderchen hat mich ordentlich erfreut. Ich habe schon oft an Sie gedacht und mich dabei gefragt, wie es Ihnen und Ihren Angehörigen wohl gehen mag und bin nun froh, dass sie wenigstens alle leben, gesund sind und diesen ganzen Wahnsinn des Krieges doch wenigstens körperlich und hoffentlich auch seelisch einigermassen ohne Schaden überstanden haben. Nun wünsche ich für Sie nur noch eines, und das ist das, dass Ihr lieber Gatte bald heil und gesund in Ihre Arme aus der englischen Gefangenschaft zurückkehren möge und Sie dann alle wieder vereint sind, und ich bin der festen Überzeugung, dass Sie beide, Ihr Mann und Sie, bei Ihrer Jugend und Ihrer Lebensbejahung schon Mittel und Wege finden werden, sich aus diesem Dilemma so oder so wieder herauszuwinden und sich ein neues Leben aufzubauen.

Wie recht, ja mehr wie recht, hatten wir beide mit all unseren Vermutungen bei unseren Unterredungen hier in Berlin über die ganze Verbrecherbande, und wie recht hatte erst mein Sohn, und mit welcher Klarheit hat er als ganz junger unerfahrener Mensch und Offizier die Sachlage und den kommenden Zusammenbruch des Nazisystems und damit Deutschlands furchbares Elend erkannt. Menschen, wie Dönitz und unzählige andere deutsche Marineoffiziere, können ihm nach keiner Richtung hin, weder charakterlich noch geistig das Wasser reichen. Und weil er in Erkennung der Sachlage weit über seinen Grossadmiral und seinen Vorgesetzten stand und den furchbaren Zusammenbruch Deutschlands unter dem Hitlerregime voraussah, aber leider in seiner jugendlichen Unerfahrenheit nicht geschwiegen hat - wie das unzählige andere klügere taten - musste er seine Erkenntnis mit dem Leben bezahlen. Er wurde eben einfach ausgelöscht, weil er zuviel wusste, zuviel ahnte und zuviel erkannt hatte, kurz, er wurde eben ein Opfer seiner Zeit. Wie ich selbst politisch dachte und noch immer denke, ist Ihnen, verherte gnädige Frau, aus unserem wiederholten Zusammensein zur Genüge bekannt und glauben Sie mir, dass auch ich oft daran war, verhaftet zu werden, und mir dann das gleiche Los beschieden gewesen wäre, wie meinem Sohn. Nachdem man diesen aber beabsichtigt und unschuldig ermordet hatte, habe ich die Zähne zusammengebissen und geschwiegen und es mir zur Aufgabe gemacht, auf alle Fälle das Ende dieses Hitlerwahnsinns zu erleben, um dann alles zu tun, was in meiner Macht steht, um die Denunzianten meines Sohnes Nothdurft, Abel und Druschel und seine verbrecherischen Richter Hagemann und Meinert ihrem verdienten Schicksal zuzuführen. Ich habe im Monat Juli und August fast täglich Briefe von Menschen erhalten, die bisher gegen die Todesstrafe waren, aber auch diese Menschen stehen heute auf dem Standpunkt, dass alles getan werden muss, Subjekte wie die Vorgenannten und die bereits zum Tode verurteilten auszulöschen. Ich weiss, liebe verehrte Frau Winter, dass ich dadurch meinen Sohn natürlich nicht wiederbekommen kann, aber ich halte es für meine moralische Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass der gemeine Mord an meinem Sohn sowie die Verbrechen an der Menschheit durch den Tod dieser Verbrecher wenigstens einigermassen gesühnt werden. Mein Sohn hat sich selber in seiner politischen Ansicht und Ueberzeugung die Treue gehalten - und wer könnte irgend einer Sache treu sein, ohne sich selbst treu zu bleiben, - und da ich, wie er denke, so werde auch ich ihm treu bleiben und alles daran setzen, dass der an ihm begangene Mord so oder so gesühnt wird.

Nachdem Dönitz vor dem Forum des Nürnberger Gerichtes nicht mit dem Tode, sondern nur mit 10 Jahren Gefängnis äusserst milde bestraft worden ist, so habe ich auch ihn vor der Kieler Oberstaatsanwaltschaft des Mordes an meinem Sohn angeklagt, denn er kannte die Sachlage durch seinen Dutzfreund und Adjutanten, Kapitänleutnant Janssen, genau und wusste, dass mein Sohn unschuldig war und hatte Janssen auch sein Wort gegeben, alles zu tun, um meinen Sohn wenigstens vor dem Tode zu bewahren. Trotzdem zwei Gnadengesuche, eines von mir und eines von dem Verteidiger Müller-Grieben, der in seiner Verteidigung natürlich vollständig versagt hat, vorlagen, und die Begnadigung in der Hand von Dönitz lag, hat dieser als Chef der U-Bootwaffe und Grossadmiral der deutschen Marine trotz seines Versprechens weiter nichts getan, als das Todesurteil meines Sohnes bestätigt. Er ist also genau derselbe gemeine Mörder wie die bereits in Nürnberg zum Tode verurteilten und wie die von mir vor der Oberstaatsanwaltschaft in Kiel angeklagten Denunzianten und Richter. Die ganze Angelegenheit liegt jetzt in der Hand der Oberstaatsanwaltschaft in Kiel, da mir die Sache dort aber sehr lax bearbeitet zu werden scheint, so habe ich an den Herrn Oberstaatsanwalt in Kiel entsprechend geschrieben und ihm klargemacht, dass ich mich an den Alliierten Kontrollrat wenden werde, wenn er nicht endlich in der Angelegenheit meines Sohnes anfängt, energisch durchzugreifen. Und Sie, liebe verehrte Frau Winter, können sich darauf verlassen, dass ich für die Rehabilitation meines unschuldig ermordeten Sohnes sorge, sei es nun so oder so.

Damit Sie sich ein Bild über den Wahnsinn der Verurteilung meines Sohnes machen können, füge ich anliegend die betreffende Nummer der "Neuen Zeitung" bei, in der Sie in dem Artikel "Der Fall des Oberleutnant zur See Oscar Kusch" alles Wissenswerte finden.

Sehr interessant waren sicher auch Ihnen all die vielen Verhandlungen des Alliierten Gerichtshofes in Nürnberg, haben sie doch dem deutschen Volk – das in politischer Dummheit nicht seinesgleichen in der Welt hat – endlich die Augen über Hitler und seine ganze Umgebung sowie über das ganze Naziregime geöffnet. Wie könnte heute Deutschland in und vor der ganzen Welt dastehen, wenn es sich nicht von Hitler und seinen Trabanten gänzlich verdummen hätte lassen, sondern sich rechtzeitig von diesem Regime befreit hätte. Das in Nürnberg gefällte Urteil ist nach meinem Dafürhalten gegenüber einem Teil dieser Verbrecher viel zu milde. Jeder von ihnen hätte "ohne Ausnahme" gehängt werden müssen, denn jeder von ihnen hat Hitlers Pläne und die beabsichtigte Zugrunderichtung der Menschheit gekannt und wissentlich mitgemacht, weil es ihm ohne jede persönliche Gefahr dabei gut ging.

Und nun, meine liebe, verehrte Frau Winter, seien Sie mir nicht böse, dass ich erst heute auf Ihre lieben Zeilen antworte. Aber glauben Sie mir, dass ich dienstlich mit Arbeit sehr überlastet bin und dazu kommen noch die vielen Arbeiten, die die Angelegenheit meines Sohnes durch die Veröffentlichung in der Neuen Zeitung mit sich bringt.

Inzwischen habe ich auch meine Wohnung von Berlin-Schöneberg nach Berlin-Steglitz verlegt, weil die Gegend am Bayerischen Platz so ziemlich eine einzige Trümmerstätte ist, und ich in Steglitz in der Nähe eines Parkes wohne, in dem ich doch wenigstens grüne Bäume sehe. Nun, liebe gnädige Frau, Ihnen und allen Ihren Lieben tausendmal alles Gute für jetzt und die Zukunft. Auch von Ihrem Gatten habe ich einen sehr lieben Brief erhalten und ihn entsprechend beantwortet. Lassen Sie bald wieder einmal von sich hören und seien Sie auf das herzlichste gegrüsst von

Ihrem sehr ergebenen
Oskarheinz Kusch

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den 20.1.1947

Sehr geehrter Herr Winter!

Aus Ueberlastung an Arbeit komme ich erst heute zur Beantwortung Ihrer Karte vom 26.11.46. Ich habe mich sehr darüber gefreut und erwidere Ihre Grüße auf das Herzlichste. Im übrigen hoffe ich, dass es Ihnen körperlich und seelisch einigermassen erträglich geht. Dass die Sehnsucht nach Ihren Lieben häufig Ihr ganzes Sinnen und Trachten ausmacht, kann ich verstehen und Ihnen nachfühlen. Weihnachten und Neujahr sind ja nun auch wieder einmal, wenn auch für uns wenig schön, überstanden und so Gott will, bringt Ihnen das neue Jahr endlich die Heimkehr zu Ihren Lieben, und dann fangen Sie daheim alle in Gemeinschaft ein neues Leben an und im Verein mit Ihrer lieben tatkräftigen Gattin werden Sie es schon schaffen.

Wenn Sie auf Ihrer Heimreise über Berlin kommen, und hier Ihre Eltern besuchen, dann würden Sie mir keine grössere Freude bereiten können, als wenn Sie auch bei mir mit vorsprechen würden.

In der Angelegenheit meines ermordeten Sohnes ist noch nichts von Belang seitens der Oberstaatsanwaltschaft in Kiel erfolgt. Wie Ihnen bekannt, habe ich das ganze Bordgericht und nachträglich auch Dönitz des Mordes an meinem Sohn am 9.5.46 angeklagt. Die Generalstaatsanwaltschaft in Kiel hat daraufhin auch einige Verhöre vorgenommen, aber die Denunzianten und verbrecherischen Nazirichter, die dieses Wahnsinnsurteil auf dem Gewissen haben, laufen noch immer frei herum. Der Oberstaatsanwalt in Kiel verschanzt sich dahinter, dass die Rechtsgrundlage für die Verfolgung derartiger Strafsachen in der britischen Zone bisher noch nicht hinreichend geklärt sei. Der Denunziant Nothdurft hat nach Mitteilung des Oberstaatsanwaltes in Kiel eine umfassende Rechtfertigungsschrift eingereicht, worin er natürlich nach Möglichkeit seine Schuld herabzusetzen versucht. Ich war nun heute bei dem hiesigen britischen Militärgericht und habe diesem den Fall meines Sohnes vorgetragen, und man hat mir versprochen, von sich aus weitere Schritte in die Wege zu leiten. Des weiteren habe ich vor einiger Zeit auch die Oberstaatsanwaltschaft in Kiel ersucht, sowohl von Ihnen, sehr geehrter Herr Winter, wie auch von Herrn Kapitänleutnant Janssen einen Bericht über meinen Sohn und über den Eindruck, den die Verhandlung vom 26.1.1944 auf Sie gemacht hat, einzufordern oder Sie als Zeuge zur gegebenen Zeit vorzuladen. Man muss nun abwarten, was wird. Ruhen lasse ich die Sache auf keinen Fall.

Hoffentlich ist Ihr kleiner Sohnemann inzwischen wieder gesund geworden und es geht Ihren Lieben den Umständen nach gut. Und so es das Schicksal will, sehen wir uns bald hier in Berlin.

In dieser Hoffnung und Erwartung grüsst Sie als Freund meines Sohnes

Ihr ergebener
Oskarheinz Kusch

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Berlin-Steglitz, den 26. August 1947
Munsterdamm 26

Mein lieber und sehr verehrter Herr Winter!

Mein letztes Schreiben an Sie datiert vom 20.1.1947. Da ich nichts wieder von Ihnen gehört habe, und Sie auch, wie beabsichtigt nicht persönlich hier in Berlin auf der Bildfläche erschienen sind, so gehe ich wohl nicht fehl, wenn ich annehme, dass Sie diesen schönen Sommer auch noch in England in Gefangenschaft verbringen mussten, denn sonst hätten Sie wohl schon hier Ihre Lieben in Berlin begrüßt. Hoffentlich führt Sie nun ein gütiges Geschick recht bald in die Arme Ihrer Familie zurück.

Jetzt will ich Ihnen nur kurz mitteilen, dass sich auf mein unaufhörliches Drängen hin die Oberstaatsanwaltschaft in Kiel nunmehr ernstlich mit dem Justizmord an meinem Sohn beschäftigt, aber trotzdem wagt es der Strafsenat in Kiel heute noch sich schützend vor den Nazirichter Marineoberkriegsgerichtsrat Hagemann und die übrigen Richter des Bordgerichtes zu stellen und sie alle für unschuldige Lämmlein zu erklären. Wenn man sich das mit seinem gesunden Menschenverstand vergegenwärtigt, dann packt einen der Menschheit ganzer Jammer an. Und für diese Verbrecher haben sich Menschen von Ehre, Mut und Charakter wie Sie und mein Sohn tausendfach in Lebensgefahr gebracht und eingesetzt, damit sie daheim in Ruhe und Genuss die Kriegsjahre verbringen konnten.

Es ist nun höchstwahrscheinlich, dass die Oberstaatsanwaltschaft in Kiel auch Ihnen einen Bericht über Oskar als Mensch und Offizier und vor allem über den Eindruck, den Sie von der Gerichtsverhandlung in Kiel am 26.1.44 gehabt haben, einfordern wird, und ich gehe wohl nicht fehl, wenn ich glaube, dass Sie dann wissen werden, was Sie zu sagen haben.

Ich wünsche ihnen weiter alles Gute und vor allem eine baldige Rückkehr zu Ihrer geschätzten Frau und Ihren lieben Kindern und würde mich selbstverständlich ausserordentlich freuen, Sie dann gelegentlich Ihrer Anwesenheit in Berlin auch bei mir begrüssen zu können. In dieser Hoffnung grüsst Sie herzlichst Ihr
Oskarheinz Kusch

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Brief Werner Winters an Admiral Bernhard Rogge1:

Werner Winter
Kpt zS

Flensburg-Mürwik, den 14. Dezember 1965

Hochverehrter Admiral!

Wenn ich erst heute den Versuch mache, meine Ihnen kürzlich telefonisch gegebene zusage zu verwirklichen, so liegt dies einfach daran, daß ich doch noch meine schon etwas in Vergessenheit geratenen Erinnerungen durchforsten und in einer einzigen mir noch verbliebenen Unterlage nachlesen mußte.

Alle Ereignisse beziehen sich auf die Jahre 1944, 1949 und 1950. Meine Unterlagen aus dem Kriege habe ich seinerzeit vor meiner Gefangennahme in Brest verbrennen müssen. Aus den Jahren 1949 und 1950 besitze ich keine persönlichen Aufzeichnungen, da damals unser Alltag voll anderer Probleme war und ich nicht damit gerechnet habe, daß diese Dinge auch nur annähernd irgendwie von Interesse sein könnten. Meine einzige Gedächtnisstütze ist eine mir verbliebene Sammlung von Blättern einer Berliner illustrierten Zeitung, die 1951 über das mich einmal so sehr bewegt habende Todesurteil gegen Olt zS Kusch und die späteren Prozesse gegen seinen Kriegsrichter berichtete. Der Name jener Illustrierten war "I l l u s", Verlag und Redaktion Alois Bankhardt, Berlin Grunewald, Bismarckplatz. Der Verfasser des Berichtes schrieb unter dem Namen Bernhard Turner; nach meiner Erinnerung war dies ein Pseudonym. An seinen richtigen Namen erinnere ich mich nicht mehr.

Im Folgenden möchte ich Ihnen kurz die Vorgeschichte und die beiden Kieler Schwurgerichtsprozesse darstellen, in denen der damalige Rechtsanwalt Dr. Leverenz den angeklagten früheren Kriegs-Gerichtsrat Hagemann verteidigte, der heute als Rechtsanwalt und Notar in Lauenburg lebt.

Der Prozeß gegen Olt zS Kusch

Kusch war 1943/44 Kommandant von „U 154“. Er war 1941/42 als 2. Wachoffizier bei mir auf „U 103“ gefahren und hat bis zur Übernahme seines eigenen Bootes noch unter meinem Nachfolger, dem heutigen Fregattenkapitän Gustav-Adolf Janssen, gefahren. Kusch hatte unter der großen Belastung des U-Boot-Krieges und vielen Feindfahrten auf seinem Boot seinen Offizieren gegenüber aus seiner Einstellung gegen Hitler und sein Regime keinen Hehl gemacht, jedoch stets geglaubt, daß eine Diskussion der uns alle bewegenden Probleme im Kreise seiner U-Boot-Messe gut aufgehoben sei. Sein Wachoffizier und der leitende Ingenieur haben ihn jedoch aus persönlicher Animosität – und ohne irgend einen militärischen Vorgesetzten einzuschalten – 1944 beim Gericht des Führers der U-Boote Ost, das für Kusch selbst gar nicht zuständig war, angzeigt. Ende Januar 1944 wurde ich selbst überraschend und ohne zu wissen, um was es geht, aus meinem Urlaub in Oberschlesien nach Kiel befohlen. Dort mußte ich als Zeuge in dem am 26. Januar 1944 stattfindenden Prozeß aussagen. Die Anklage gegen Kusch war einen Tag vorher erhoben worden.
Mir bot sich folgendes Bild:

Vorsitzender des Gerichts: Marine-Kriegs-Gerichtsrat Hagemann
Beisitzer: Mein Crew-Kamerad Dittmers und Olt zS Westphalen.
Verteidiger war der am Tag vorher mobilisierte und in Luftschutzuniform erscheinende Kieler Rechtsanwalt Dr. Meyer-Truelsen.
Ein militärischer Verteidiger trat nicht auf.
Janssen und ich waren vom Angeklagten als Entlastungszeugen namhaft gemacht.

Wir beide machten während der sehr naßforschen Prozeßführung von Hagemann verzweifelte Anstrengungen, uns vor kusch zu stellen. Der Vertreter der Anklage war der heutige Vorsitzende der Hamburger Truppen-Dienst-Kammer, Dr. Breining. Sein Plädoyer ist mir unvergessen, da er sich ebenfalls nach allen Kräften bemühte, einen „mittelschweren Fall“ zu entwickeln, der erst einmal das Leben von Kusch retten könnte und dem Gericht – und schließlich auch dem obersten Gerichtsherrn – die Möglichkeit zu einem annehmbaren Urteil gegeben hätte. Alle Mühen waren umsonst; nach 10stündiger Verhandlung kam Hagemann – entgegen dem Antrag des Vertreters der Anklage – mit dem Todesurteil aus dem Richterzimmer. Damit war Kusch‘s Schicksal innerhalb von 10 Stunden besiegelt. Meine und Janssens Bemühungen bei Groß-Admiral Dönitz und Admiral von Friedeburg blieben erfolglos. Nach meiner Meinung nur, weil eine Änderung des Urteils auf dem Gnadenwege zu dieser Zeit nicht mehr übersehbare politische Folgen gehabt hätte. Für mich jedenfalls war damals Hagemann der Exponent dieser politischen Rechtsprechung; für mich bedeutete dieser Prozeß den Beginn meiner inneren Abkehr vom Nationalsozialismus. Kusch wurde dann im Mai 1944 in Kiel erschossen.-

Das Offizierskorps des Bootes hatte außer Kusch‘s herausfordernden Diskussionen nichts unternommen, um ihn auf den soldatisch richtigen Weg zu halten und diese Tragödie aufzufangen. Sie haben ihn schlechthin politisch denunziert. Es erfolgte keine Meldung an einen militärischen Vorgesetzten, der erzieherisch und organisatorisch hätte eingreifen und retten können.

Ferner: Hätte Hagemann sich dem Antrag des Staatsanwalts angeschlossen, wäre K. noch am Leben bzw. wäre er den Soldatentod an der Front gestorben. Er war der Scharfmacher, Dittmers schon damals krank und ohne Kraft, Westphalen noch 1947 bei mir im Gefangenenlager ein überspannter Hitlerjunge. Das erste Urteil auf Todesstrafe war in jedem Fall entscheidend und kostete das Leben eines ausgezeichneten, am Feinde hundertfach bewährten und menschlich hervorragenden jungen Offiziers.

Die Prozesse gegen Hagemann

1949 fand vom 2. - 23. Mai in Kiel eine Schwurgerichtsverhandlung statt, in welcher der ehemalige Kriegs-Gerichtsrat Hagemann vom Vater des Olt zS Kusch wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit angeklagt wurde. Diesmal war ich vom Vater Kusch‘s, mit dem ich schon im Kriege, während meiner Gefangenschaft und nach dem Kriege in briefliche Verbindung getreten war, als Belastungszeuge namhaft gemacht worden. Auf der Zeugenbank traf ich zahlreiche Angehörige der ehemaligen Besatzung von Kusch, die sich alle zur Verfügung gestellt hatten, um positiv für ihren ehemaligen Kommandanten auszusagen und um den auch ihrer Meinung nach für das Todesurteil überwiegend verantwortlichen Hagemann zur Rechenschaft zu ziehen. Wir waren uns alle einig, daß es diesem gut gut tun würde, einmal über einen längeren Zeitraum hinaus über das nachzudenken, was er zu verantworten hatte. Um es kurz zu machen:
H. wurde sowohl in dieser Verhandlung, wie auch in der Berufungsverhandlung ein Jahr später freigesprochen, „da die Ergebnisse der Verhandlung nicht als ausreichend erachtet wurden, um den Tatbestand des Menschlichkeitsverbrechens, begangen durch einen Spruchrichter, als erwiesen anzusehen“. (Soweit der Bericht der Illustrierten nach den Prozeßakten). Beantragt waren 2 Jahre Gefängnis wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit.
In diesem Prozeß wurde H. beide Male durch Leverenz verteidigt. Mir ist in lebhafter Erinnerung die Szene, als nach meiner Aussage und dem sich anbahnenden Freispruch Dr. Leverenz in der Pause mich ansprach und fragte, ob ich heute immer noch von der Schuld Hagemanns überzeugt sei. Ich habe versucht, ihm klarzumachen, daß ich dies 1944 Groß-Admiral Dönitz und Admiral von Friedeburg gegenüber gemeldet hatte, daß Hagemann ein von politischen Rücksichten und mangelnder innerer Courage diktiertes Urteil gefällt habe.

Diese Ansicht verträte ich auch jetzt noch und wäre von Hagemanns großer Schuld noch immer überzeugt. Es ginge mir nicht darum, ob Hagemann im Rahmen damaliger Gesetze bzw. Erlasse gehandelt habe, sondern wie er es getan habe. In meinen Augen habe er aus Opportunismus und mangelnder Zivilcourage erheblich versagt. Dr. Leverenz brach das Gespräch dann mit dem überlegenen Lächeln des besser Informierten und Urteilsfähigeren ab. Am Schluß seines Plädoyers sagte er, ich zitiere wörtlich das, was die Zeitung aus den Prozeßakten, die sicher bei der Kieler Staatsanwaltschaft im Archiv liegen, entnommen hat:

"Sie, meine Herren Geschworenen, sollten hier keinen Präzedenzfall entscheiden. Hier geht es nicht darum, ob ein Richter überhaupt nicht oder wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit angeklagt werden kann, hier geht es allein darum: Ist Hagemann für seine Urteile haftbar zu machen, für die er noch heute die volle Verantwortung übernimmt?"

Mein grundsätzlicher Eindruck von den beiden Schwurgerichsverhandlungen geht dahin,daß damals dort alle Richter, der Angeklagte und der Verteidiger sich als in einem Boot sitzend fühlten. Leverenz hatte seine Verteidigung wohl darauf abgestellt, daß ein damals nach den geltenden Gesetzen und Erlassen gefälltes Urteil keinerlei Wertung nach irgendwelchen persönlichen und gesetzlichen Verhaltensweisen erfahren dürfe. Er stellte auch immer heraus, daß Hagemann die Verantwortung für seine Urteile übernähme. Leverenz ist also mit der Problematik der damaligen Rechtsprechung in jeder Hinsicht vertraut und hat sich seinerzeit lebhaft für einen Berufskollegen eingesetzt, der unter dem NS-Regime dieses Urteil gefällt hat, das nach meiner und einer überwiegenden Zahl von Beteiligten Meinung ungerecht und unter politischen Rücksichten gefällt worden war, über das von der Anklage vorgeschlagene Strafmaß hinaus. Umso weniger verständlich ist es mir, wenn Dr. Leverenz heute wiederum eine innere Kehrtwendung gemacht zu haben scheint und nun gegen einen militärischen Gerichtsherrn, also einen Nicht-Juristen tätig wird in einem Fall, der nach meiner Ansicht von der Schuld des Verurteilten her ganz anders liegt, wo im übrigen auch ein eindeutiges gerichtliches Todesurteil vorausgegangen ist. Wie weit Dr. L. heute wiederum politische Rücksichten zu nehmen hat, wage ich nicht zu entscheiden.

In diesem Sinne, Herr Admiral, verstehen Sie bitte meine Äußerungen gegenüber Gruner. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, daß mich alles, was ich in dieser Angelegenheit aus der Presse erfahren habe, sehr bewegt hat. Da ich glaube, daß hier das Recht auf Ihrer Seite ist, hoffe ich sehr, daß Sie diese Zeit einer großen Belastung überstehen und glücklich beenden werden. In diesem Sinne verbleibe ich mit den besten Grüßen und der Bitte um eine Empfehlung an Ihre hochverehrte Frau Gemahlin in alter Vertrautheit Ihr sehr ergebener ...

***


"Die Neue Zeitung" vom 7.7.1945

Der Fall des Oberleutnants zur See Kusch
Ein Vater klagt ein Bordgericht des Mordes an - "Wider besseres Wissen zum Tode verurteilt"
NZ Berlin, 7. Juli
Am 26. Januar 1944 wurde der Oberleutnant zur See Oskar Kusch durch ein Bordgericht der deutschen Kriegsmarine wegen Zersetzung der Wehrkraft zum Tode verurteilt. Auf Grund des vom Alliierten Kontrollrat erlassenen Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechtes in der Strafrechtspflege war es dem Vater des erschossenen Offiziers, Direktor Heinz Kusch, Berlin, nunmehr möglich gegen die Mörder seines Sohnes Strafantrag zu stellen. Die Anklageschrift, die dem Internationalen Strafgerichtshof in Nürnberg in einer Abschrift vorliegt, enthält in der Anklage auch die Urteilsbegründung des Kriegsgerichtes. In diesem beispielhaften Dokument nationalsozialistischer Rechtsbeugung wird offenbar, wie die Richter des Dritten Reiches wider ihr besseres Wissen entschieden. Es heißt dort: "Der am 1. September 1941 zum Oberleutnant zur See beförderte Angeklagte ist Inhaber des EK II, des U-Boots-Kriegsabzeichens und des EK I. Der Angeklagte wird als ausgezeichneter Offizier mit einwandfreier charakterlicher Veranlagung, großer Begabung und schneller Auffassungsgabe beurteilt. Er ist gerichtlich und disziplinarisch nicht bestraft. Vor seinem Eintritt in die Kriegsmarine hat der Angeklagte vorübergehend der Hitlerjugend angehört, in die die zur bündischen Jugend gehörende deutsche Freischar, der er seit 1928 angehörte, bei der Machtübernahme überführt wurde. Als 1935 die Schar, der der Angeklagte angehörte, aufgelöst wurde, trat der Angeklagte aus der Hitlerjugend aus. Der NSDAP hat er nicht angehört ... Als der Angeklagte im März 1943 als Kommandant das Boot U-X übernahm, befahl er gleich beim Einsteigen in Gegenwart der Zeugen Abel und Druschel das in der Messen hängende Führerbild zu entfernen, wobei er nach der übereinstimmenden Bekundung beider Zeugen den Ausdruck gebrauchte: ,Nehmt das mal dort weg, wir treiben hier keinen Götzendienst ...'. Auf beiden Feindfahrten hat der Angeklagte bei den häufig stattfindenden Unterhaltungen mit den Offizieren des Bootes in der Messe Äußerungen gebraucht, die nach Auffassung der Zeugen nur auf eine Ablehnung der geltenden Regierungsform, der Partei und ihrer Einrichtung durch den Angeklagten schließen lassen. So bekunden die Zeugen Abel und Druschel, daß der Angeklagte in einem Gespräch über die allgemeine Lage geäußert habe, nur der Sturz Hitlers und seiner Partei könne dem deutschen Volke einen Frieden und einen kulturellen Aufstieg bringen. Nur wenn das deutsche Volk die kraft zu einem solchen Umsturz aufbringe, würden die anderen Mächte zu einem Frieden mit Deutschland bereit sein. Das Volk leide schwer unter der Last des jetzigen Regimes und erst dessen Beseitigung werde die waren Kräfte des Volkes zur Entfaltung bringen... Über den Führer selbst äußerte sich der Angeklagte im Laufe eines Gesprächs, das nach Auffassung des Angeklagten von dem Thema 'Genie und Wahnsinn' ausging, der Führer sei ein wahnsinniger Utopist. Er brachte weiter in diesem Gespräch zum Ausdruck, daß er an den Endsieg nicht mehr glaube, da mit zunehmender Dauer des Krieges die Überlegenheit der Feindmächte auf dem Gebiete der Rohstoffe immer mehr zunehme ... als auf der ersten Feindfahrt der BDU den Booten verschiedene aufmunternde und zum Durchhalten auffordernde Funksprüche machte, äußerte sich der Angeklagte hierzu, daß jeder dieser Funksprüche eine Sklavenpeitsche sei, und daß es sich nur um Sklavenantreiberei handle Wenn auch diese Unterhaltungen im allgemeinen in der Offiziersmesse stattfanden, so konnten nach übereinstimmender Bekundung der Zeugen außer den Offizieren auch der Koch, der Offiziersbackschafter und der Horcher, dessen Schapp in die Offiziersmesse hineinragt, diese Unterhaltungen hören … Nachdem, wie sich die Persönlichkeit des Angeklagten dem Bordkriegsgericht darstellt, ist das Gericht davon überzeugt, daß der Angeklagte nicht davon ausgegangen ist, den Führer zu verunglimpfen und gegen das Regime und die politische und militärische Führung Stimmung zu machen, um dadurch auf eine Zersetzung des Widerstandswillens des deutschen Volkes hinzuwirken. Der Angeklagte ist, wie oben angeführt, ein bewährter U-Boot-Offizier, der als Wachoffizier bei mehreren Kommandanten hervorragenden Kampfgeist und beispielhafte Einsatzbereitschaft bewiesen hat, und der auf zwei Feindfahrten ein gutes Versenkungsergebnis erzielte, wofür er mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse ausgezeichnet wurde. Er wird von seinen Vorgesetzten als intellektueller schöngeistiger Ästhet bezeichnet, der sich gerne zurückzieht, um für sich allein ein gutes Buch zu lesen und sich weiterzubilden. Es war deshalb für das Bordkriegsgericht nicht leicht, über die inneren, zur Tat führenden Vorgänge bei dem Angeklagten Klarheit zu gewinnen, zumal der Angeklagte selbst hierüber nur wenig gesagt hatte." Der Abschnitt der Urteilsbegründung trägt, neben dem zuletzt zitierten Absatz folgende Randbemerkung des Vaters: Wenn das Gericht selbst davon überzeugt war, daß keine beabsichtigte Zersetzung der Wehrmacht bevorlag, wozu dann das Wahnsinnsurteil des Todes. Dann war dieses Urteil doch bewußter, gemeiner Mord. Die Urteilsbegründung fährt fort: Nach dem Inhalt der festgestellten Äußerung und bei Berücksichtigung des Bildungsgrades des Angeklagten war es dem Bordgericht nicht zweifelhaft, daß sich der Angeklagte wohl darüber im klaren war, daß seine Äußerungen geeignet waren, wehrkraftzersetzend zu wirken. Dies ist aber nach der herrschenden Rechtssprechung für die innere Tatseite ausreichend. Der Angeklagte ist zwar ein bis zu seinen Straftaten hervorragend beurteilter und tüchtiger, einsatzbereiter Offizier und erfolgreicher U-Boot-Fahrer gewesen. Trotzdem glaubte das Bordkriegsgericht nicht einen minder schweren Fall annehmen zu können. Dies verbot einmal die Prüfung der von dem Angeklagten gebrauchten zersetzenden Äußerungen, die selbst von der Person des Führers nicht haltmachte und die zum Teil hochverräterischen Charakter trugen, zum anderen, daß gerade zersetzende Äußerungen von sonst gut beurteilten und verantwortungsbewußten Persönlichkeiten geeignet sind, besonders große Gefahren hervorzurufen. Das Gericht hat deshalb wegen der fortgesetzten Zersetzung der Wehrkraft auf Todesstrafe erkannt.

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In dem Strafantrag, den der Vater, Direktor Heinz Kusch, am 9. Mai 1946 an den Oberlandespräsidenten in Kiel stellte, heißt es: Als einige Tage vor der Vollstreckung des Urteils der Verteidiger meines Sohnes, Rechtsanwalt Meyer-Grieben, es wagte, den Marinestabsrichter Meinert in der Sache des Oberleutnants Kusch noch einmal zu interpellieren, äußerte sich dieser wörtlich: "Diesen Fall konnte Kollege Hagemann nicht durchgehen lassen, denn dann würden wir uns den Ast abschneiden, auf dem wir sitzen ..." Ich erstatte hiermit in meinem und gleichzeitig im Namen der Mutter meines Sohnes, der Frau Erna Brockmann, Berlin-Steglitz, Berlinicke Str. 11, Anzeige wegen Mordes 1. gegen des Marine-Obergerichtsrat Hagemann, 2. gegen den Korvettenkapitän Dittmer, 3. gegen den Oberleutnant zur See Westphalen, 4. gegen den Marine-Kriegsgerichtsrat Dr. Breising, 5. gegen den Marinestabsrichter Parteigenossen Meinert und 6. gegen die Denunzianten Overleutnant zur See Dr. Abel, Oberleutnant (Ing.) Druschel und gegen den Stabsarzt Dr. Nothdurft ... Nicht mein Sohn hat die Wehrmacht zersetzt, sondern alle die Verbrecher, die heute auf der Anklagebank vor dem Internationalen Gerichtshof in Nürnberg sitzen und weiter die, die in der Verhandlung vor dem Kriegsgericht in Kiel am 26. Januar 1944 in ihrem Hitlerwahn als Richter und Denunzianten einen vollständig unbescholtenen und sie charakterlich weit überragenden jungen Menschen, der nichts weiter getan hat, als daß er die Wahrheit erkannt und gesagt hat, wider besseres Wissen und Gewissen unschuldig zum Tode verurteilten.
Siehe auch:

© Bert Morio 2018 - Zuletzt geändert: 03-04-2018 07:54

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  1. Gegen Admiral Rogge wurde im Jahr 1965 wegen der von ihn ausgesprochenen Todesurteile für Marineangehörige in den Tagen vor und nach dem 8. Mai 1945 durch die Staats­anwalt­schaft Flensburg ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.