Holtenauer Geschichte

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Oskar Kusch

Der bekannteste auf dem Marineschießplatz Holtenau erschossene Wehrmachtsangehörige war der Uboot-Kommandant Oskar Kusch1, dem Wehrkraftzersetzung und das Abhören von Auslandssendern vorgeworfen worden war. Obwohl Kusch ein fähiger und erfolgreicher Kommandant und bei den unteren Mannschaftsgraden beliebt war, gab es aufgrund seiner politischen Einstellungen und freimütigen Äußerungen starke Spannungen mit seinen Offizieren.

Oskar Kusch war nur einer von möglicherweise Hunderten von Marinesoldaten, die in Kiel Opfer von Hitlers Marinejustiz wurden und deren Blut die holtenauer Erde tränkte. Fast jeden Morgen seit 1943 hallten die Gewehrsalven der Erschießungskommandos über den Holtenauer Schießplatz nahe des Flughafens, wo sich heute Angehörige der Bundeswehr und der Zollverwaltung im Pistolenschießen üben. Die Soldaten hatten schon Routine bekommen und wußten genau, wie sie am 'saubersten' jene Kameraden vom Diesseits ins Jenseits zu befördern hatten, die sich der Fahnenflucht, der Wehrdienstentziehung durch Simulation oder — wie Kusch — zersetzender Reden über die Reichsregierung und den Ausgang des Krieges schuldig gemacht hatten.2

Grund der Anklage gegen Oskar Kusch war eine Anzeige seines Ersten Wachoffiziers Ulrich Abel, der seinen Kommandanten gemeldet hatte, weil dieser das vorgeschriebene Hitler-Bild in der Offiziersmesse hatte entfernen lassen.

Oskar Kusch auf U 103 Abb.: Oskar Kusch (rechts) auf U 103 unter Kptlt. Werner Winter. Winter führte nach dem Krieg noch eine längere Korrespondenz mit Kuschs Vater.

Oskar Kusch wurde am frühen Morgen des 12. Mai 1944 auf dem Marineschießplatz im Alter von 26 Jahren durch ein Exekutionskommando unter Kapitänleutnant Gerdes erschossen. Nachdem der Tod festgestellt worden war, wurde der Leichnam eingesargt und am gleichen Tage wurden die Eltern über den Tod ihres Sohnes benachrichtigt, wobei sie gleichzeitig darauf aufmerksam gemacht wurden, daß eine Veröffentlichung von Todesanzeigen und Nachrufen streng verboten war. Für die Familien der durch das Regime Ermordeten wurde die Ermordung ihrer Angehörigen durch die Schmach, der sie sich teilweise in ihrem Umfeld ausgesetzt sahen noch dadurch verschlimmert, daß sie alle Kosten des Verfahrens bis hin zur Einäscherung zu tragen hatten.

Obwohl die Staatsanwaltschaft in seinem Prozeß nur eine Strafe von zehneinhalb Jahren Haft gefordert hatte, wurde Kusch durch den Militärrichter Karl-Heinrich Hagemann nach einem nur einstündigen Prozeß zum Tod durch Erschießen verurteilt, wohingegen der Staatsanwalt anschließend für seine Milde gerügt wurde. Kusch wartete 106 Tage auf die Vollstreckung des Urteils, lehnte aber die Einreichung eines Gnadengesuchs seinerseits ab.

Hagemann hatte anscheinend seitens des Gerichtspräsidenten die Anweisung bekommen, ein Exempel zu statuieren, obwohl es seitens des Admirals von Friedeburg eine gegenteilige Anweisung gegeben hatte. Gleichzeitig war der Prozeß so forciert worden, daß es unmöglich war, entsprechende Entlastungszeugen vorzuladen.

Einen Eindruck über den Ablauf des Prozesses gegen Kusch geben die Erinnerungen von Uboot-Kommandant Werner Winter (externer Link), der in den Jahren 1941/42 Vorgesetzter von Oskar Kusch auf U 103 war (siehe unten!):

Ende Januar 1944 wurde ich selbst überraschend und ohne zu wissen, um was es geht, aus meinem Urlaub in Oberschlesien nach Kiel befohlen. Dort mußte ich als Zeuge in dem am 16. Januar 1944 stattfindenden Prozeß aussagen. Die Anklage gegen Kusch war einen Tag vorher erhoben worden. Mir bot sich das folgende Bild: Vorsitzender des Gerichts: Marine-Kriegs-Gerichtsrat Hagemann, Beisitzer: Mein Crew-Kamerad Dittners und OLt zS Westphalen. Verteidiger war der am Tag vorher mobilisierte und in Luftschutzuniform erscheinende Kieler Rechtsanwalt Dr. Meyer-Truelsen. Ein militärischer Verteidiger trat nicht auf. Janssen3 und ich waren vom Angeklagten als Entlastungszeugen namhaft gemacht.
Wir beide machten während der sehr naßforschen Prozeßführung von Hagemann verzweifelte Anstrengungen, uns vor Kusch zu stellen. Der Vertreter der Anklage war der heutige Vorsitzende der Hamburger Truppen-Dienst-Kammer, Dr. Breinig. Sein Plädoyer ist mir unvergessen, da er sich ebenfalls nach allen Kräften bemühte, einen 'mittelschweren Fall' zu entwickeln, der erst einmal das Leben von Kusch retten könnte und dem Gericht -- und schließlich auch dem obersten Gerichtsherrn -- die Möglichkeit zu einem annehmbaren Urteil gegeben hätte. Alle Mühen waren umsonst; nach 10stündiger Verhandlung kam Hagemann -- entgegen dem Antrag des Vertreters der Anklage -- mit dem Todesurteil aus dem Richterzimmer. Damit war Kusch's Schicksal innerhalb von 10 Stunden besiegelt. Meine und Janssens Bemühungen bei Groß-Admiral Dönitz und Admiral von Friedeburg blieben erfolglos. Nach meiner Meinung nur, weil eine Änderung des Urteils auf dem Gnadenwege zu dieser Zeit nicht mehr übersehbare politische Folgen gehabt hätte. [...]
Ferner: Hätte Hagemann sich dem Antrag des Staatsanwaltes angeschlossen, wäre K. noch am Leben bzw. wäre er den Soldatentod an der Front gestorben. Er war der Scharfmacher, Dittmers schon damals krank und ohne Kraft, Westphalen noch 1947 bei mir im Gefangenenlager ein überspannter Hilterjunge. Das erste Urteil auf Todesstrafe war in jedem Falle entscheidend und kostete das Leben eines ausgezeichneten, am Feinde hundertfach bewährten und menschlich hervorragenden jungen Offiziers.
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Winter hatte Kusch im Juni 1942 folgendermaßen beurteilt:

Oberleutnant zur See Kusch war vom 25. Juni 1941 bis 26. Juni 1942 als II. W.O. auf U-103 bei der 2. Unterseebootflottille kommandiert und hat an drei langen Feindfahrten teilgenommen. Kusch hat sich zu einem ausgezeichneten jungen Offizier entwickelt. Er ist im Kreige gereift, seine einwandfreie charakterliche Veranlagung, seine große Begabung und seine schnelle Auffassungsgabe machten Ihn zu einer wertvollen Hilfe des Kommandanten. Als Vorgesetzter besitzt er viel Herz und Fröhlichkeit, aber eine feste Hand gegenüber seinen Untergebenen. Er ist künstlerisch veranlagt und besitzt eine große Bildung. Vor dem Feind bewies er stets große Zähigkeit, frischen Wagemut bei kluger Überlegung, große Zuverlässigkeit und Verantwortungsbewußtsein.

Auch die für die Marine ungewöhnliche Vorgehensweise der Denunzianten wurde ein Thema:

Winter machte darauf aufmerksam, dass Abel mit seiner Meldung gegen die Vorschriften ud Betimmungen der Marine verstoßen habe. Diese hätte zumindest den Dienstweg nehmen und Kapitän zur See Kals, dem Disziplinarvorgesetzten und Chef der 2. U.-Flottille in Lorient, vorgelegt werden müssen. Winter hatte nie zuvor von einem ähnlichen Fall oder einer derartigen Bearbeitung einer Meldung gehört. Tatsächlich habe es seines Wissens in der Marine die von Abel gewählte Vorgehensweise noch nie gegeben. Er kannte auch keinen Fall, in dem U-Bootoffiziere ihren Bootkommandanten derart hinterhältig und ungehörig in den Rücken gefallen seien, wobei sie die bestehende Kommandostruktur umgingen und die vorgesetzten Offiziere überrumpelten. Sie hatten den Vorgang ohne jegliche Rücksicht auf die in der Marine üblichen guten Umgangsformen durchgepeitscht und lieferten damit einen makellosen Frontoffizier der Tötungsmaschinerie des Kriegsgerichtssystems der Marine aus.5

Nicht nur sein Kommandant, sondern auch U 154 traf ein trauriges Schicksal, denn es wurde nicht einmal zwei Monate nach Kusch' Exekution nordwestlich von Madeira durch ameri-kanische Geleitzerstörer mit seiner gesamten Besatzung versenkt. Auch Abel, der inzwischen Kommandant von U 193 geworden war, wurde auf seiner ersten Feindfahrt samt seiner Besatzung im April 1944 versenkt.

Obwohl Oskar Kuschs Vater bereits im Jahr 1949 vor dem Kieler Landgericht die Rehabilitierung seines Sohnes anstrengte, wurde der ehemalige Marinerichter Hagemann in diesem Prozeß als auch in der Berufungsverhandlung im darauf folgenden Jahr aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Dazu schreibt Werner Winter an Admiral Rogge:

In diesem Prozeß wurde H. beide Male durch Leverenz verteidigt. Mir ist in lebhafter Erinnerung die Szene, als nach meiner Aussage und dem sich anbahnenden Freispruch Dr. Leverenz in der Pause mich ansprach und fragte, ob ich heute immer noch von der Schuld Hagemanns überzeugt sei. Ich habe versucht, ihm klarzumachen, daß ich dies 1944 Groß-Admiral Dönitz und Admiral von Freideburg gegenüber gemeldet hatte, daß Hagemann ein von politischen Rücksichten und mangelnder innerer Courage diktiertes Urteil gefällt habe. Diese Ansicht verträte ich auch jetzt noch und wäre von Hagemanns großer Schuld noch immer überzeugt.6

Den Verlauf und das das Ergebnis des gegen Hagemann angestrengten Prozesses schildert Claudia Bade:

Die Anzeige richtete sich auch gegen den ehemaligen Marineoberstabsrichter Karl Hagemann wegen Mordes; die Ermittlungen zogen sich über mehrere Jahre hin. [...] Der Prozeß gegen Karl Hagemann fand erst im Mai 1949 statt; Anklage war allerdings nicht wegen Mordes erhoben worden, sondern wegen >>Verbrechen gegen die Menschlichkeit<<. Zweimal wurde Hagemann vom Schwurgericht beim Landgericht Kiel freigesprochen, jeweils mit geradezu haarsträubenden Begründungen. Hauptsächlich wurde argumentiert, dass für das Gericht beim Todesurteil gegen Kusch allein militärische Erwägungen eine Rolle gespielt hätten und keine politischen. Nur im letzteren Fall hätte es zu einer Verurteilung Hagemanns nach KRG 10 kommen können, so das Kieler Gericht. Zumindest - so ist es in der Urteilsbegründung formuliert - seien keine ausreichenden Beweise dafür erbracht, dass >>das Kriegsgericht sich bei der Beurteilung der Frage, ob ein minderschwerer Fall vorliege, von politischen Erwägungen hat leiten lassen. [...] Es scheint nicht unglaubhaft, dass sie in Kusch nicht den politischen Gegner, sondern vielmehr einen Offizier sahen, der in schwerer Weise gegen die Disziplin vestoßen hat.<< Der Fall ging in Revision, sowohl die Kieler Staatsanwaltschaft aus auch der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone bemühten sich um eine Differenzierte rechtliche Beurteilung. Doch das Verfahren wurde an dasselbe Kieler Gericht zurückverwiesen und endete ein Jahr später wiederum mit einem Freispruch. Diesmal wurde der Freispruch rechtskräftig, da der Oberstaatsanwalt eine neuerliche Revision für aussichtslos hielt.7

Bade schildert weiter, in welcher Weise das Netzwerk ehemaliger Marinejuristen funktionierte, um zu verhindern, daß aus dem Fall Kusch ein Präzedenzfall entstand. Weiterhin organisierte man Rechtshilfe füreinander, informierte einander über laufende Verfahren und half sich gegenseitig dabei, wieder eine Anstellung in der Justiz zu finden. Organisator dies Netzwerkes war der ehemalige Marinekriegsgerichtsrat Helmut Sieber.

Das Urteil gegen Kusch wurde erst 1996 aufgehoben, nachdem Walle das Schicksal Oskar Kuschs erneut publik gemacht hatte.

Gedenkstein Oskar Kusch Abb.: Gedenkstein an der Oskar-Kusch-Straße.

Zum Gedenken an den hier ermordeten Oskar Kusch wurde die Straße Am Schießstand in Oskar-Kusch-Straße umbenannt, die sich damit von den Straßennamen der Fliegerasse und Flugpioniere erfreulicherweise deutlich abhebt. Dies geschah jedoch erst nach der Gebietsreform, durch die das Gebiet des Schießstandes zur Gemeinde Altenholz kam, auf eine gemeinsame Initiative der Gemeinde Altenholz und der Stadt Kiel. Es wurde eine Gedenkfeier durchgeführt und ein Gedenkstein an der Stichstraße zum Schießstand aufgestellt.

Der Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Hans-Rudolf Boehmer, würdigte Oskar Kusch in seiner Ansprache anläßlich des Volkstrauertages 1996 als eine Persön­lichkeit, die — nachdem sie das Unrecht erkannt hatte — allein ihrem Gewissen folgend Unrecht für Unrecht erklärte und dafür ihr Leben verlor.

Briefe

Briefe aus dem Besitz meines Großonkels Werner Winter finden sich hier. Es handelt sich um Briefe des Vaters über den Prozeß und seine Versuche, die Mitglieder des Bordgerichts nach dem Krieg zur Verantwortung zu ziehen. Dazu eine Schilderung der Kriegsgerichtsverhandlung durch Werner Winter und eine Antwortbrief von Admiral Rogge. Zuletzt noch ein Zeitungs­artikel über Oskar Kusch aus dem Jahr 1946.

Siehe auch:

© Bert Morio 2018 — Zuletzt geändert: 11-04-2018 19:00

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  1. Es wurden während des Krieges lediglich zwei U-Boot-Kommandanten exekutiert: Der zweite war Ktl. Heinz Hirsacker, der wegen angeblicher Feigheit vor dem Feinde zu Tode verurteilt wurde und sich im Marinegefängnis in der Wik erschoß. Man muß sich dabei bewußt machen, dass zur Zeit dieser Urteile die Situation der deutschen Uboote völlig aussichtslos war und es inzwischen nicht mehr die Aufgabe der Uboote war, Großbritannien von der Versorgung über See abzuschneiden, sondern möglichst viele feindliche Kräfte zu binden. 

  2. Paul, Gerhard: Landunter. Schleswig-Holstein und das Hakenkreuz, Münster 2001, S. 273. 

  3. Gustav-Adolf Janssen war nach Werner Winter der Kommandant Kuschs. 

  4. Aus einem Brief Werner Winters an Admiral Rogge vom 14. Dezember 1965. Winter hatte lange ein sehr enges persönliches Verhältnis zu Großadmiral Dönitz, war er doch für einige Zeit einer seiner Adjutanten. Dazu schreibt Hansen: Dieser ließ Winter auch nur sehr ungern gehen, gab aber schließlich nach zahlreichen Gesprächen seinem Gesuch statt, noch einmal als U-Bootkommandant zum Einsatz zu kommen. (Vgl.: Hansen, Peter C.: Hingerichtet nach Pflichterfüllung. Tatsachenroman über einen U-Bootkom­mandanten, Lamperheim 2014, ohne Seitenangabe.). 

  5. Hansen, Peter C.: Hingerichtet nach Pflichterfüllung. Tatsachenroman über einen U-Bootkommandanten, Lamperheim 2014, ohne Seitenangabe. 

  6. Der ehemalige Marineoberstabsrichter d.R. Dr. Bernhard Leverenz war damals in Kiel als Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht tätig und von 1954 bis 1962 sowie von 1963 bis 1967 Justizminister des Landes Schleswig-Holstein! Über ihn findet sich in einem Brief Admiral Bernhard Rogges an Werner Winter Folgendes: An der Charakterlosigkeit von Herrn L. zweifelt wohl niemand, der ihn in den vergangenen Jahren kennengelernt hat. Mein Rechtsanwalt in Kiel sagte mir einmal vor eininer Zeit: "Der ist so charakterlos, daß, wenn er morgen von seinem Posten abtreten müßte, er übermorgen zu Ihnen käme mit der Frage, ob er sie verteidigen könnte.". Dazu muß man wissen, daß zu dieser Zeit gegen Rogge Ermittlungen der Staats­anwalt­schaft Flensburg wegen um die Zeit des Kriegsendes verhängter Todesurteile liefen (siehe auch der Brief Winters an Rogge aus dem Jahr 1965 unten!). 

  7. Bade, Claudia: >>Als Hüter wahrer Disziplin ...<< Netzwerke ehemaliger Wehrmachtsjuristen und ihre Geschichtspolitik, in: Wette, Wolfram / Perels, Joachim: "Mit reinem Gewissen": Wehrmachtrichter in der Bundesrepublik und ihre Opfer, Berlin 2011, Ebook ohne Seitenangaben.