Wenn auch gegenüber der eigenen und der Weltöffentlichkeit seitens der Reichsregierung so getan wurde, als sei der neue Kanal nur im Interesse der Schiffssicherheit und der ökonomischen Interessen geplant worden, so waren es wohl hauptsächlich die militärischen Beweggründe, die letztlich zum Kanalbau führten. Darauf weist auch die bereits nach etwas mehr als einem Jahrzehnt beschlossene Entscheidung zur Erweiterung des Kaiser-Wilhelm-Kanals hin, die erst mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges abgeschlossen wurde.
Abb.: SMS Elsaß unter der Levensauer Hochbrücke.
Im Gegensatz zu anderen europäischen Mächten war die Kaiserliche Marine nur eine kleine, denn die meisten Ressourcen flossen in das Landheer — nicht zuletzt weil dieses in den vergangenen drei Kriegen gegen Dänemark, Östereich und Frankreich höchst erfolgreich gewesen war1. Zudem sah sich das Reich gezwungen, sowohl die Küstengebiete der Ostsee als auch die der Nordsee im Kriegsfall verteidigen zu können.
Ein die beiden Meere verbindender Kanal würde es in den Planspielen der Strategen nun ermöglichen, innerhalb eines Tages Flotteneinheiten von einem Meer in das andere zu verlegen und auf diese Weise dort kurzfristig ein militärisches Übergewicht herzustellen.
Abb.: Kriegsschiffe auf dem Kaiser-Wilhelm-Kanal 1895.
Es wurde sogar an die Möglichkeit gedacht, daß Kriegsschiffe
mitten im Kanal wenden mußten, und aus diesem Grund wurden im
Kanalverlauf mehrere kreisrunde so genannte Wendestellen
geplant.
Abb.: Die 1872 gebaute Panzerfregatte SMS
Deutschland
in den Alten
Schleusen. Sie hatte eine Breite von 19,1 m und einen
Tiefgang von 8,5 m. Es blieb also auf beiden Seiten nur knapp
anderthalb Meter Platz! Die 1906 von der Royal Navy in Dienst
gestellte HMS Dreadnought
hatte demgegenüber eine Breite
von 25 m.
© Bert Morio — Zuletzt geändert: 21-12-2016 00:05
Zwar hatte im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 ein französisches Geschwader in der Ostsee gekreuzt, doch hatte dieses keinen Einfluß auf den Kriegsverlauf. Damals gab es zudem noch keine Kolonien in Übersee, die es zu schützen galt, und auch die Abhängigkeit von Rohstoffimporten war weitaus geringer als zwei Jahrzehnte später. ↩