Während des Ersten Weltkrieges wurden in Holtenau viele Soldaten einquartiert, während im Laufe des Krieges das lebendige Gemeindeleben immer mehr zum Erliegen kam. Die Holtenauer Seeflugstation wurde immer stärker ausgebaut und viele bekannte Seeflieger wie Gunther Plüschow verbrachten hier einen Teil ihrer Dienstzeit.
Abb.: Die unüberwindlichen
Dreadnoughts oder Das grösste Naturspiel Europas.
Propaganda gegen die Britische Dominanz zur See um 1910. Den
Briten (dargestellt als Seemann) stehen Deutschland (als
Fischermädchen) und Österreich (als fesche Wienerin) jeweils
maßstabsgerecht zur Größe ihrer Marinen gegenüber.
Die Prinz-Heinrich-Brücke über den Kaiser-Wilhelm-Kanal wurde durch Stacheldrahtverhaue und Maschinengewehrnester gegen feindliche Kommandounternehmen geschützt. Auch auf den Schleusen wurden Verteidigungsanlagen installiert und auf dem Leuchtturmhügel gab es neben kleineren Geschützen wohl auch einen Flakscheinwerfer.
Abb.: Ein deutsches Unterseeboot in der Neuen Schleuse. Hinten links das Leuchtfeuer auf der Südmole.
Mit dem Beginn des Krieges traten die so genannten Rayongesetze
in Kraft, aufgrund derer im Kriegsfall im Bereich von Festungen
(den so genannten Festungsrayons
) bestimmte
Maßnahmen in Kraft gesetz wurden. Dies hatte in Holtenau zur
Folge, daß Teile des Waldes Voßbrook
gefällt werden mußten, um für die Artillerie des Fort Holtenau ein freies Schußfeld zu
bekommen. In diesem Zusammenhang sollen auch einige Häuser
abgebrochen worden sein.
Abb.: Die Hochseeflotte vor Holtenau. Im Vordergrund die Wartehalle, das Kaiser-Wilhelm-Denkmal und der Leuchtturm. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob diese Karte nicht nur eine Photomontage ist, denn die Bebauung auf dem gegenüber liegenden Ufer kommt mir etwas suspekt vor. Ich frage mich, ob dort zur damaligen Zeit wirklich Werftanlagen gestanden haben. Auch der Leuchtturm ist zumindest nachgezeichnet. Andererseits gibt es aber wirklich Luftaufnahmen, die die in der Kieler Förde vor Anker liegenden Kriegsschiffe in einer Reihe von der Hörn bis ungefähr auf Höhe Holtenau zeigen.
Zur Verteidigung der Einfahrt in den Kaiser-Wilhelm-Kanal gab es am Leuchtturmhügel 4 8,8cm-Marine-Schnellladekanonen und auf dem Wiker Ufer der Schleuse 4 3,7cm-Revolverkanonen.
Wie überall im Kaiserreich wurden auch die Holtenauer von der sich immer mehr zuspitzenden Ernährungslage betroffen und das Leben wurde immer mehr durch die Beschaffung von Nahrung geprägt. Aufgrund fehlenden Heizmaterials mußte in den Wintermonaten sogar der Schulunterricht teilweise ausfallen. Das gesellschaftliche Leben litt unter der Einquartierung von Militär, die alle Holtenauer Gaststätten betraf. So mußten auch die Holtenauer Turner, die bis dahin noch keine eigene Turnhalle besaßen, und deshalb in verschieden Gaststätten turnten, ihre Aktivitäten einstellen.
Die während des Krieges herrschende Atmosphäre wird auch in einem Brief deutlich, den ein ehemaliger Lehrling der Holtenauer Baufirma Ivens im Jahre 1915 schrieb:
Anfang Oktober war ich in Kiel und stattete bei dieser Gelegenheit auch dem Dörfchen Holtenau einen Besuch ab. Es war sehr verödet, kein Baum, kein Strauch, nur überall Militär. Auch meine Lehrstätte wollte ich noch einmal sehen, aber die lag tot und verlassen da. Man hörte nicht mehr das Summen der Maschinen, auf dem Zimmerplatz wucherte das Gras, und statt der Zimmerleute sah ich nur Soldaten.
Über die Zeit der Mobilmachung habe ich folgenden Text gefunden:
An der ganzen Küste sollen, wie unsere Artilleristen sagen – wir hatten sie heute Abend zu uns in die Wohnstube geladen – Befestigungen und Schanzen gebaut sein, besonders ja an der Kieler Förde. In Holtenau, an der Einfahrtsstelle des Kaiser-Wilhelm-Kanals gelegen, sind viele Benzin- und Benzolfässer vergraben worden. Erst wurden sie mit dicken Eisenplatten belegt und dann Erde darauf geschüttet. Ebenfalls soll dort viel Munition auf dieselbe Weise vor feindlichen Kugeln geschützt sein. Das ganze schöne Gehölz Voßbrook bei Holtenau ist abgeholzt worden; ebenfalls die schönen Linden, die die Straßen umsäumen, um so freies Schussfeld zu erhalten. Alles das haben „unsere“ Soldaten uns erzählt.1
Abb.: Das Netzlager
nördlich des Leuchtturmhügels auf einer Photographie aus dem
Jahr 1918. Oben wahrscheinlich das Bergwirtschaft
zur schönen Aussicht
von J. S. deVries.
Auf einer Ansichtskarte aus der Zeit des Ersten Weltkrieges sieht
man nördlich des Leuchtturmhügels auffällige Gebäude und
Installationen. Möglicherweise handelt es sich dabei um ein Netzlager
für Netzsperren
auf der Kieler Förde. Solche Sperren — wenn auch anders
konstruiert — gegen feindliche Schiffe hatte es bereits während
des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 gegeben als ein
französisches Geschwader in der Ostsee operierte.
In Holtenau sahen wir vor dem Kanalleuchtturm einige kleine Geschütze aufgestellt. Sonst war von Befestigungen, Verhauen nichts zu sehen.2
Ein anderer Zeitgenosse berichtet von ähnlichen Zuständen, die er in Holtenau vorgefunden hatte:
Holtenau, 6.8.1914. Meine Lieben! Ich bin hier in Holtenau gut angekommen. Vorläufig bleiben wir hier. Alles ist mit Truppen überfüllt. Jeder verpflegt sich selbst, wir bekommen gut und genug. Ich liege am Kanal und sehe allen Schiffen nach, die passieren, etwas interessanter. Küsse meine Lieblinge und sei auch herzhaft geküßt von Männe.
Für die im Krieg Gefallenen wurde nach Kriegsende auf dem Friedhof Holtenau ein Ehrenmal, die Kriegergedächtnisstätte
,
angelegt. Aus den Erfahrungen des Hungerwinters 1916 zog dann das
Dritte Reich den Schluß, daß die
Versorgung der eigenen Bevölkerung mit allen Mitteln
sicherzustellen so, so daß z. B. in der Holtenauer Turnhalle bereits vor Kriegsbeginn 1939
Vorräte eingelagert wurden.
Abb.: Nagel-Uboot
auf dem Rathausplatz in
Kiel.
Ironischerweise zeigte sich, daß nahezu alle Planungen der Kaiserlichen Militärs hinsichtlich eines künftigen Krieges von der Wirklichkeit des Krieges überholt waren. Weder der Kaiser-Wilhelm-Kanal noch die Hochseeflotte konnten die ihr zugedachte Rolle spielen. Weder wurde der Flottenstützpunkt Kiel angegriffen, noch gab es ein Kommandounternehmen gegen die Kanalbrücken.
Abb.: Der Kieler Festungsring bei Kriegsausbruch 1914. Die damals errichtete Befestigungen an der Prinz-Heinrich-Brücke sind hier nicht verzeichnet.
Auf dem Holtenauer Friedhof finden sich die die Ehrenmäler für die Gefallenen der beiden Weltkriege. Betrachtet man beide Anlagen, so zeigt sich ein deutlicher Unterschied, denn das Ehrenmal für den Zweiten Weltkrieg wirkt weitaus bescheidener und unaufdringlicher als das für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs.
Abb.: Denkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges.
Auf dem Obelisken, der sich am Nordende der Stätte befindet, steht die Inschrift
"Unseren Gefallenen
1914 - 1918
Das Kirchspiel
Holtenau
Treue um Treue"
Abb.: Die Kriegergedächtnisstätte. Die direkt am Weg liegenden Steine markieren die verschiedenen Schlachtfelder des Krieges, während sich in der zweiten Reihe die Steine mit den Namen der gefallenen Holtenauer dicht aneinander reihen.
© Bert Morio 2017
— Zuletzt geändert: 20-07-2020