SEVERAin Holtenau
Trotz der anders lautenden Bestimmungen des Versailler
Vertrages, die für Holtenau das Ende der Marinefliegerei
bedeuteten, versuchten die Deutschen, den technologischen Anschluß an die Entwicklung in der
militärischen Luftfahrt zu halten und eine möglichst große Zahl zukünftiger Militärpiloten
auszubilden.
Dafür bedienten sie sich in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg
verschiedener Tarnorganisationen wie auch der SEVERA (=
Seeflugzeug-Versuchs-Abteilung
), die auch einen Stützpunkt in Holtenau
betrieb.
Abb.: Holtenauer Piloten der SEVERA mit Wasserflugzeugen der staatlich gelenkten
Luft
Hansa
.
Die Organisation wurde vom Kapitän z. S. Lahs ins Leben gerufen und sollte dafür sorgen, daß Deutschland auf allen Gebieten, die durch den Versailler Vertrag eingeschränkt waren, mit den anderen Mächten technologisch und organisatorisch Schritt halten konnte.
Die Stützpunkte der SEVERA in Holtenau und Norderney hatten jeweils einen militärischen und einen technischen Leiter, mehrere Flugzeugführer und Beobachter sowie eigenes Monteur- und Werkstattpersonal. Die Flugzeuge wurden teilweise vom Reichsverkehrsministerium zur Verfügung gestellt.
Abb.: Schleppflugzeug
Krischan
(W 33 D1384) der Firma Junkers zur
Zieldarstellung.1
Die Firma Siemens beschäftigte sich z. B. seit 1929 unter anderem auch auf dem Flugplatz Holtenau mit der automatischen Steuerung von Flugzeugen. Bei den notwendigen Erprobungen und Justierungen gingen die beteiligten Techniker und Ingenieure auch hohe persönliche Risiken ein, da sie in den Versuchsflugzeugen mitflogen, was der damalige Ingenieur Eduard Fischel später so beschrieb:
… Herr Jakobsen, der Entwicklungsingenieur der Firma Boykow, lud mich zu einem Justierflug ein und ich nahm begeistert an. Als wir 300 – 400 m Höhe erreicht hatten, schaltete er die Automatik ein. Sehr bald bemerkte ich ein leichtes Ziehen des Flugzeuges. Es begann zu steigen, wobei seine Geschwindigkeit allmählich abnahm, was bereits durch die Änderung des Motorengeräusches bemerkbar wurde. Die Steuerung reagierte entsprechend und drückte die Flugzeugnase nach unten, wodurch die Geschwindigkeit sich wieder merklich erhöhte und vom Motor durch entsprechendes Aufheulen quittiert wurde. Wieder reagierte die Steuerung, stoppte die Abwärtsbewegung und leitete den umgekehrten Vorgang ein. Dieser Rhythmus wiederholte sich regelmäßig, wobei wir eine Höhendifferenz von etwa 150 m und eine Geschwindigkeitsspanne von etwa 50 km/h durchliefen. Der niedrigste Wert der Geschwindigkeit lag nur wenig über jener Mindestgeschwindigkeit, die zur Erhaltung der Flugfähigkeit notwendig war. ... Auf der Flugstation in Holtenau hatte man unser Versuchsflugzeug bald ’das besoffene Huhn’ getauft, da es wie ein solches durch den Luftraum zu torkeln schien.
Abb: Theodor Osterkamp und Erhard
Milch 1934. Osterkamp war über mehrere Jahre Stationsleiter in Holtenau.
Mit Flugzeugen der Holtenauer SEVERA testete beispielsweise die
Torpedoversuchsanstalt
in Eckernförde in den 1920er Jahren den Abwurf von
Torpedos von Flugzeugen. Während des Dritten Reiches wurden von Holtenau
auch Spionageflüge nach Polen durchgeführt und dabei
insbesondere Höhenflüge getestet.
Abb.: Auf der Seeflugstation Holtenau. Im Hintergrund die
Villa Bock
, das ehemalige Ärztehaus der Quarantäneanstalt.
© Bert Morio 2017 — Zuletzt geändert: 28-09-2017 18:27
Der Name Krischan
bezieht sich wahrscheinlich auf den ehemaligen
Seeflieger Friedrich Christian Christiansen. Über
die Funktion der Schleppflugzeuge schreibt ??? folgendes: Zur Zieldarstellung für
Schiffe der Reichsmarine war ein als Schleppschwimmer-Schießen bezeichnetes Verfahren
entwickelt worden: Ein rund fünf Meter langer, zylindrischer Hohlkörper mit einem
Durchmesser von einem Meter wurde von einem Schleppflugzeug über die Wasseroberfläche
gezogen, wodurch ein sich schnell bewegendes Schiffsziel simuliert wurde. [...] Diese
Schleppeinsätze forderten von den Piloten großes fliegerisches Geschick, galt es doch, die
Geschwindigkeit konstant unter 95 km/h zu halten. Bei höherer Geschwindigkeit riß das 3 mm
starke Drahtseil, und der Schleppschwimmer mußte neu aufgenommen werden; wurde die
Geschwindigkeit andererseits zu stark verringert, bestand Abrutschgefahr, weil die Strömung
an den Flächen abreißen konnte.
(Ott, Günther: Die einmotorige Junkers JU 52,
unter: adl-luftfahrthistorik.de/dok/Ju52_1m.pdf.). ↩