Heimatvertriebene
Seit dem Jahr 1943 wurden aus den durch die Luftangriffe immer mehr zerstörten deutschen Städten ca. 200.000 Menschen in ländliche Gebiete Schleswig-Holsteins evakuiert. Als die vorrückende Rote Armee 1944 deutsche Gebiete im Osten erreichte, löste sie damit eine riesige Flüchtlingswelle Richtung Westen aus — davon kamen allein mehr als 2 Millionen Menschen in den letzten Kriegsmonaten des Zweiten Weltkrieges mit Hilfe der Kriegsmarine über die Ostsee. Mit dem Vorrücken der Alliierten im Westen drängten auch aus dieser Richtung Menschen nach Schleswig-Holstein.
Abb.: Das
Lager Waffenschmiede wird abgerissen. Im Hintergrund der Hochbrückendamm.
Nach Kriegsende wurden nicht nur über eine Million ehemaliger Wehrmachtssoldaten, sondern auch 200.000 Fremd- und Zwangsarbeiter interniert. 1946 kamen nochmals 365.000 Flüchtlinge dazu.
Ende 1946 lebten in Schleswig-Holstein schließlich 2,6 Millionen Menschen, rund eine Million mehr als vor 1939 (andere Quellen sprechen von 860.000 Vertriebenen, d. h. einem Anstieg der Bevölkerung um 33%). Das bedeutet, daß kein anderes Land in der westlichen Besatzungszone eine solch hohe Quote an Flüchtlingen oder Vertriebenen aufgenommen hatte.
Den Großteil der Flüchtlinge mußten die weniger stark zerstörten Städte und die ländlichen Gebiete aufnehmen. Dementsprechend knapp war daher auch der Wohnraum, so daß die Unterbringung — nicht zuletzt aufgrund der herrschenden latenten, teilweise auch offenen, Fremdenfeinlichkeit — nur durch Zwangseinweisungen sichergestellt werden konnte.
Abb.: Nissenhütten
bei Knoop.
Da der Stadtteil Holtenau im Vergleich zum Rest Kiels relativ wenig zerstörten Wohnraum hatte, wurden hier entsprechend viel Flüchtlinge und Vertriebene untergebracht. Im Jahre 1950 war die Einwohnerzahl Holtenaus auf 8.000 gestiegen, was gegenüber 1937 mit 4.200 Einwohnern nahezu eine Verdoppelung bedeutete. Doch hatte sich nicht nur die Zahl, sondern auch ihre Zusammensetzung der Einwohner in Folge des Krieges verändert.
Tabelle: Zusammensetzung der Holtenauer Bevölkerung 1937 und 1950 (in %).
1937 | 1950 | |
Einwohnerzahl | 4.200 | 8.000 |
Ureinwohneroder aus Kiel Zugezogene |
25 | 17 |
aus den anderen Teilen Schleswig-Holsteins | 41,5 | 25 |
aus anderen Ländern Deutschlands | 33 | 20 |
aus dem Ausland | 0,5 | 1 |
Flüchtlinge aus dem Osten Deutschlands | 37 |
Natürlich war es unmöglich, all die neuen Einwohner in dem vorhandenen normalen
Wohnraum unterzubringen, so daß in Holtenau 4 größere Flüchtlingslager entstanden:
Die Lager hatten zum Teil eigene Schulräume und Kindergärten. Die Kindergärten wurden von der Kirchengemeinde Holtenau betreut. Weitere Lager befanden sich auf dem Marineschießplatz und am Knooper Polterberg (Lager Knoop).
Abb.: Baracken auf dem Leuchtturmhügel. In der Mitte der leere Sockel des Kaiser-Wilhelm-Denkmals, rechts die Wartehalle.
Zudem gab es allen möglichen behelfsmäßigen Wohnraum in ehemaligen Baracken oder Gartenhäuschen — zum Beispiel im heutigen Gemeinschaftsheim Eekbrook, im ehemaligen Flakhaus am Flugplatz oder auf dem Leuchtturmhügel.
© Bert Morio 2017 — Zuletzt geändert: 06-11-2018 22:57