Holtenauer Geschichte

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Der Schiffsausrüster Hermann Tiessen

Der 1887 in Dithmarschen geborene und 1966 in Kiel gestorbene Hermann Tiessen eröffnete 1927 seinen Schiffsausrüsterbetrieb am Holtenauer Kai. Damals gab es bereits 15 weitere Schiffsausrüster in Holtenau. Im Jahr 1977 wurde die dort entlang führende Straße Am Kai zu seinem Gedenken in Tiessenkai umbenannt. Später wurde das Geschäft durch seinen Sohn Günter (*1921, +2005) weitergeführt.

Tiessen und Zerssen Abb.: Die Schiffsausrüster Herman Tiessen und Zerssen am Kai.

Bei Tiessen und den anderen Ausrüstern kann bestellt werden, was die Schiffsbesatzung vom Kohlkopf bis zum Maschinenteil für die Fahrt so braucht. Alles wird in Container und Netze gepackt und beim kurzen Aufenthalt in der Schleuse an Bord gehievt. In dem Laden aber, zwischen altmodischer Kasse, Kaufmannswaage und einer Schiefertafel, auf der mit Kreide die Bestellung "Annemarie - 1 Rettung­sinsel" notiert ist, machen Matrosen und Hausfrauen aus der Nachbarschaft ihre letzten kleinen Besorgungen.1

Tiessen und Loeck Abb.: Die Schiffsausrüster Hermann Tiessen und Carl Loeck.

Das wohl weithin bekannteste Kieler Schiffsausrüstergeschäft wurde 1927 gegründet und am späteren Tiessenkai — damals hieß die Straße noch Am Kai — das erste Gebäude errichtet. Als Tiessen das Geschäft eröffnete gab es zwar bereits weitere 15 Konkurrenten in Holtenau und während des Eiswinters 1928/29 galt es für die gerade erst gegründete Firma ebenso wie für die anderen Holtenauer Schiffsausrüster eine lange Durststrecke zu überstehen, doch aufgrund der zunehmenden Schiffsgrößen und der immer längeren Seezeiten wuchs auch der Materialbedarf stetig an, so daß Hermann Tiessen und später sein Sohn Günter das Geschäft im Laufe der Jahrzehnte durch insgesamt 8 Anbauten vergrößern mußten.

Günter Tiessen wurde Diplom-Meteorologe, doch der Krieg beeinflußte seinen Berufsweg, und so trat er 1946 als Mitinhaber ins väterliche Geschäft ein. Die beiden Männer führten zusammen mit einer Kontoristin den Betrieb alleine - heute sind es 40 Mitarbeiter, darunter 10 Frauen. Seit 1949 kam eine Bunkerstation dazu, und das erste eigene Boot hat die Firma Tiessen seit 1956.2

Nach und nach ist das Geschäftsgebäude erweitert worden und erstreckt sich heute vom Tiessenkai bis zur Kanalstraße. Günter Tiessen möchte er nicht weiter expandieren: „wir werden alle gut satt, und die Arbeitsplätze sind sicher.“ Alles weitere bleibt dann seinem Enkel vorbehalten, der den Betrieb vielleicht eines Tages übernehmen soll.3

Kümos am Tiessenkai Abb.: Motorschiffe in "Päckchen" am Kai, dem späteren "Tiessenkai". Im Hintergrund das Wiker Ufer mit dem Gasometer. Rechts hinten die Schleusen mit dem Pegelturm.

Über die einmalige Atmosphäre bei Hermann Tiessen schreibt Hannes Hansen das folgende:

Wenn man den kleinen Verkaufsraum mit der grün gestrichenen Einrichtung betrat, fühlte man sich in die Welt der Tante-Emma-Läden von gestern versetzt. Über dem Verkaufstresen hingen Pinsel und Schäkel, in den Regalen stapelten sich Kakao und Cornflakes, Tütensuppen, Reis und Mehl, in Plastikkörben lagen Kohlköpfe, Porree und Mohrrüben. Doch die Einrichtung aus der Anfangszeit war nur die Visitenkarte und das nostalgische Aushängeschild der Firma. Hinter dem Gebäude erstreckten sich weiträumige Lagerhallen. Wer nachts um drei, sagen wir, einen neuen Drucker für seinen Computer brauchte, eine Pudelmütze oder einen Kasten Bier, hier bekam er, was er suchte.4

Im Jahr 2004 zog sich Günter Tiessen aus dem Schiffsausrüstergeschäft zurück und verkaufte seinen Betrieb an die Firma Prätorius. Tiessen starb nur ein Jahr später im August 2005.

Bunkerschiffe Abb.: Bunkerschiffe am Tiessenkai im Winter 1984.Gisela Heinrich)

Inzwischen wurde in dem weitgehend erhaltene Laden ein Café eingerichtet — passend das Schiffercafé genannt.

Das alte Kontorhaus steht unter Denkmalschutz. Und Teile der alten Ladeneinrichtung sind noch erhalten. Etwa das meterhohe, dunkelgrüne Wandregal mit den vielen Schubladen. An der Decke hängen Fischernetze und Taue, Beschläge und Petroleumlampen. Früher wurde hier alles verkauft, was man an Bord brauchen konnte. 5000 verschiedene Artikel. Ein Tante-Emma-Laden für Seeleute. Und jeder Matrose, der regelmäßig nach Kiel kam, kannte Tiessen, den Schiffsausrüster.5

Zum Gedenken an den ehemaligen Schiffsausrüster wird seit einigen Jahren das Tiessen Race ausgetragen.

Siehe auch:

© Bert Morio 2017 — Zuletzt geändert: 09.05.2020

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  1. DIE ZEIT: Wo Ozeanriesen durch Wiesen gleiten, Nr. 15, 1995. 

  2. Hafen Journal. 

  3. Hafen Journal. 

  4. Hansen 2010, S. 54. 

  5. SPIEGEL-Online: Klein Argentinien an der Förde, 31.01.2012.