Am Kai
Der Tiessenkai
bildet das nördliche Ufer des Holtenauer Außenhafens und dient
als Schutz- und Sicherheitshafen sowie als Liegeplatz für kleine
und mittelgroße Frachtschiffe. In den letzten Jahren wird er in
zunehmendem Maße von der Segeltouristik genutzt, so daß hier in
den Sommermonaten viele Traditionssegler zu bewundern sind.
Abb.: Am Eingang des Eiderkanals. Schon zur damaligen Zeit
wurden hier viele Waren umgeschlagen oder für den weiteren
Transport am und im Kanalpackhaus
zwischengelagert.
Abb.: Schlepper auf dem Eiderkanal. Im Hintergrund hinter Bäumen
versteckt das Kanalpackhaus. In
den letzten Jahrzehnten des Eiderkanals wurden zunehmend
Schlepper zum Ziehen der Schiffe durch den Kanal anstatt des
mühevollen Treidelns
verwendet.
Seinen Namen verdankt er dem 1966 verstorbenen Schiffsausrüster Hermann Tiessen, der sein
Unternehmen in den Zwanziger Jahren gründete. Ursprünglich hieß
die Straße Am Kai
, wurde aber 1977 wegen der
besonderen Rolle des Schiffsausrüsters
umbenannt.
Abb.: Das Holzlager der Firma Grimm im Jahr 1895. Im Hintergrund die
Einfahrt in die Alten Schleusen
und der Pegelturm.
Der Kai vor dem historischen Kanalpackhaus wurde erst beim Kanalbau 1887-95 aufgeschüttet und erst in den 1920er Jahren richtig bebaut. Das älteste Gebäude am Tiessenkai ist die Nummer 11, heute das Haus des Hafenaufsehers. Es gehörte zuerst der Kaiserlichen Marine, die hier Kanonen für die obligatorischen Salutschüsse unterstellte, wurde dann aber von der Kanalverwaltung übernommen. Es wurde wohl 1903 erbaut.
Abb.: Das Hexagramm am Giebel des Hauses Nr. 9.
Der ehemalige Holtenauer Lehrer Walter Giertz weist in seinem
Buch über die Straßen und Stätten Holtenaus
auf
das bemerkenswerte Hexagramm im Giebel hin. Auf dem Gelände der
späteren Nummer 9 fand 1887 die Grundsteinlegung für den Kanalbau statt.
Abb.: Am Tiessenkai liegen die Küstenmotorschiffe in mehreren
Reihen (
Päckchen
) nebeneinander.
Betrachtet man alte Photographien aus der Zeit der Kanaleröffnung, so zeigt sich, wie wenig sich hier in den vergangenen fast 110 Jahren verändert hat. Schon damals befand sich hier ein Holzlager und Segelschiffe lagen in großer Zahl an der Kaimauer fest. Etwas von der damals herrschenden Atmosphäre wird in der folgenden Beschreibung deutlich:
Bevor die Schiffe in Holtenau durch die Schleusen in den Kaiser-Wilhelm-Kanal fuhren, blieben die Kapitäne immer gern noch einen Tag in kleinen Holtenauer Hafen liegen und machten ihre Schiffe an der Kaimauer fest. Morgens war der Platz meistens leergefegt, bis auf ein oder zwei Schiffe waren alle davon geschippert, aber am späten Nachmittags und Abend glich der Platz einem bunten Marktplatz. Die Herrn Kapitäne gingen an Land, gaben ihre Bestellungen auf und eilten dann mit großen Schritten in das Restaurant ’Wartehalle’ an der Kieler Förde. Dort ging es bald lebhaft zu, es wurde tüchtig getrunken; nur klare Sachen ’Lütt und Lütt’ bestellten sie, das hieß: ’ein Bier und ein Snaps’. Einen Kapitän erkannte man sofort, er war durch seine absolute Autorität geprägt. Auf seltsame Weise sahen sie alle fast gleich aus, streng, selbstbewußt und bestimmt. Die kleinen Schiffsjungen hatten in der Zwischenzeit an Bord die Schiffe zu schruppen, bis das Deck spiegelblank war. [...]1
Die meisten Schiffe kamen aus Dänemark oder Schweden, aus den Anrainerländern der Ostsee, aber auch aus der westlichen Welt Europas, England, Holland, Frankreich. Sie waren die ’Trucker’ der Seestraßen. Reichte der Platz an der Kaimauer nicht, legten sich die Schiffe aneinander und schaukelten im gemeinsamen Rhythmus auf und ab. Im Dunkeln sahen sie aus wie ein dichter Schwarm von Vögeln, die sich warm aneinander schmiegten und ruhig die Nacht verbrachten, um am nächsten Morgen wieder auf und davon zu fliegen.
Ursprünglich hatte der Kai eine aus Ziegeln gemauerte Kaimauer in
der Art, in der auch die Schleusen gemauert sind. Durch die
zunehmende Motorisierung der am Kai festmachenden Schiffe wurde
dieses Mauerwerk jedoch unterspült und mußte durch eine Spundwand
ersetzt werden. Diese Spundwand mußte schließlich 1993 wiederum
durch eine noch stärkere Wand ersetzt werden. Das Haus N. 8 wurde
1924 gebaut, dort hatte der Schiffsmakler
Bruno Möller sein Lager, während sich das Kontor in der
Kanalstraße Nr. 24 befand. Im Fenster mit dem Rundbogen erkennt
man noch die frühere Klöntür
. 1925 wurde das Haus
von Hermann Tiessen, 1926 das
Haus von Christian
Stark erbaut, der hier eine Schiffsreparatur betrieb.
Abb.: Motorschiffe in
Päckchen
am Kai,
dem späteren Tiessenkai
. Im
Hintergrund das Wiker Ufer mit dem Gasometer. Rechts hinten die
Schleusen mit dem Pegelturm.
Vielen Holtenauer ist noch der kleine Kiosk am Anfang des Kais in Erinnerung, der von 1959 bis 1995 von Herbert Torsten geführt wurde. Zuerst nur ein ausrangierter Hühnerstall, wurde er in Laufe der Jahrzehnte immer weiter und schließlich zu einem festen Backsteinhaus ausgebaut. Hier kauften nicht nur die Holtenauer ein, sondern vor allen die Besatzungen der am Kai liegenden Schiffe, deren Zahl in früheren Jahrzehnten oftmals mehrere Dutzend betrug. Nach seinem Tod wurde das Haus leider im Sommer 2008 abgerissen.
Abb.: Das Kanalpackhaus
in den 1950er Jahren, das damals noch von der Firma Grimm als Holzlager verwendet wurde.
Seit 2019 wird der Tiessenkai nicht mehr als Nothafen genutzt, wird aber dennoch oft von Seglern, Schleppern und Arbeitsschiffen genutzt. Da eine Nutzung seitens des Wasser- und Schifffahrtsamtes nicht mehr vorgesehen ist, wird der Betrieb des Kais mit seiner Wassertiefe von 4,5 Metern zukünftig in die Hand der Stadt Kiel wechseln. Eigentümer des Kais bleibt weiterhin der Bund:
Grund dafür sind die in einigen Jahren beginnenden Bauarbeiten auf der Schleuseninsel. Dort sollen die kleinen Schleusen durch einen Neubau ersetzt werden. Wenn diese Arbeiten beginnen, wird der Tiessenkai als Liegeplatz für Arbeitsschiffe gebraucht.2
Abb.: Tiessenkai während des Zweiten Weltkrieges. Zum Be- und Entladen
der Schiffe wurden meistens Pferdefuhrwerke eingesetzt, da die
meisten zivilen Lkw inzwischen für das Militär requiriert worden
waren.
Abb.: Der Tiessenkai vor der
Renovierung des Kanalpackhauses.
Abb.:
Der Tiessenkai im Jahr 1900.
Abb.:
Der Tiessenkai im Jahr 1901. Im Hintergrund links der Holtenauer Leuchtturm.
Abb.:
Kadetten (?) am Tiessenkai vor Haus Nr. 9 um 1900. Im
Hintergrund Leuchtturm und Kaiser-Wilhelm-Denkmal mit einer
merkwürdigen Konstruktion direkt links daneben.
Abb.: Der
Tiessenkai während des Umbaus des Kanalpackhauses (© Gisela
Heinrich).
Abb.:
Arbeitsplattform vor den Alten Schleusen im November 2020.
© Bert Morio 2019 — Zuletzt geändert: 11-12-2021
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