Holtenauer Geschichte

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Kaiserliche Besuche in Holtenau

Die Besuche der deutschen Kaiser anläßlich des Kanalbaus zwischen 1887 und 1914 waren wohl die größten Festlichkeiten, die die Holtenauer jemals gesehen haben. Heute kann man sich die dort entfaltete Pracht kaum noch vorstellen — insbesondere wenn man bedenkt, daß die tatsächliche Anwesenheit der Kaiser vor Ort oft nur sehr kurz ausfiel. Diese Festlichkeiten standen auch in einem auffallenden Kontrast zu den eher sachlich gehaltenen Feiern bei der Eröffnung des Eiderkanals mehr als ein Jahrhundert zuvor.

Grundsteinlegung Levensauer Hochbrücke Abb.: Grundsteinlegung für die Levensauer Hochbrücke durch Wilhelm II. am 21. Juni 1893. Die Brücke war ein Lieblingsprojekt Kaiser Wilhelm II.

Nicht nur bei seiner Einweihung im Jahre 1895 erhielt der Kanal Kaiserlichen Besuch, auch während der Bauphase ließ es sich Wilhelm II. nicht nehmen, immer wieder dem werdenden Kaiser-Wilhelm-Kanal oder der Levensauer Hochbrücke einen Besuch abzustatten, wie es auch der folgende Zeitungsbericht aus dem Jahre 1889 beschreibt:

Schon am frühen Morgen war der Kaiser heute zu Pferde mit seinem Gefolge auf der Holtenauer Landstraße zu sehen und widmete dann den Vormittag einem Besuche der Mündung des Nord-Ostsee-Kanals. Der Kaiser wurde des Gebietes ansichtig, wo er einst an der Seite seines Großvaters der Grundsteinlegung der Nord-Ostsee-Kanal-Schleusen beigewohnt hatte. Auf dem Grundstein selbst thronte die bronzierte Kolossalstatue der “Germania”. Das ganze Gebiet am Kanal prangte im Flaggenschmuck. Die Jacht glitt schnell auf dem Wasser bis zur Holtenauer Schleuse, wo das Schleusen einen längeren Aufenthalt notwendig machte.
Der Kaiser stieg, die Pfeife rauchend, aus der Kajüte und unterhielt sich mit den Leuten am Ufer, von denen ihm manche aus ihrer Dienstzeit in Berlin bekannt waren. Vom Schiff aus war es möglich gewesen, die bereits umfangreichen Arbeiten am Ufer zu überschauen. Man sah die Vorbereitungen zur Ausschachtung der Schleusengrube, das Passieren der Feldbahnzüge. Zu Wasser wurde die Fahrt bis zu dem malerisch gelegenen Gute Knoop fortgesetzt. Dort stieg man aus und auf die schon in Bereitschaft stehenden Hofwagen. Der Kaiser begab sich nach Projensdorf, wo die Trockenbagger in Tätigkeit waren! Mit den eisernen Eimern werden hier in einer Minute mehr als 4 Kubikmeter Erde gehoben. Die Kaiserin hatte bereits gestern ihre Fahrt nach Düsternbrook bis in die Kanalgegend ausgedehnt und dem Barackenlager in Levensau einen Besuch abgestattet.

Am 7. Juni 1892 traf sich Wilhelm II. sogar mit dem Zaren Alexander III. von Rußland und besichtigte die Holtenauer Schleuse, wobei weitere hochgestellte Persönlichkeiten wie Prinz Heinrich, der Bruder des Kaisers, oder Wilhelms Vetter Großfürst Nikolai, der spätere Zar Nikolaus II., mit von der Partie waren. Anwesend war bei dieser Besichtigung zudem der Präsident des Kaiserlichen Kanalamtes Carl Loewe.

Ankunft Kaiser-Wilhelm I. Abb.: Ankunft Kaiser-Wilhelm I. zur Schlußsteinlegung.

Wilhelm II. hatte selbst am 21. Juni 1893 den Grundstein der Levensauer Hochbrücke gelegt und diese nach ihrer Fertigstellung am 3. Dezember 1894 eingeweiht. Dabei ging die Konzeption der Brücke direkt auf den Kaiser zurück, denn ursprünglich war an dieser Stelle eine Drehbrücke geplant gewesen. Der Bau von Brücken war gerade in tief liegendem Gelände schwierig und teuer und nur bei Grünenthal und Levensau bot sich der Bau einer Hochbrücke wegen der dortigen hohen Uferböschungen an.

Schließlich übertraf die Levensauer Hochbrücke die Spannweite der am 3. Dezember 1894 eingeweihten Grünthaler Hochbrücke noch um 8,5 Meter. Die Konstruktion beruht auf zwei 163 Meter langen Stahlbögen, die beiden Brückenköpfe besaßen ein Portal mit jeweils zwei 70 Meter hohen Türmen. Alleine die Überbauten aus Schweiß-, Gußeisen und Stahl über den beiden Bögen hatten ein Gewicht von mehr als 2.800 Tonnen.

In einem zeitgenössischen Zeitungsartikel wurde folgendermaßen über das Lieblingskind des Kaisers berichtet:

Der Bau der Hochbrücke bei Levensau hat bedeutende Fortschritte gemacht. Das in Form eines riesigen Bogens den Kanal überspannende, von Hunderten und aber Hunderten von Balken und Streben getragene Baugerüst ist auf einer Überseite mit einem sicheren Bohlenbelag versehen, so daß Handwerker sich ungefährdet überall bewegen können. Oberhalb des Bogens ruhen auf eisernen Säulen zwei Laufkräne, welche die meistens auf dem Wasserwege angefahrenen Eisenteile für die eigentliche Brücke heben. Mit großem Fleiß wird an den Brückenpfeilern gearbeitet. Der Hauptpfeiler erhebt sich schon fast bis zum Bahnniveau. Die vier Haupttürme der Brücke werden außer mit sonstigem architektonischen Schmuck auf der West- und Ostseite noch durch je einen Wappenschild geschmückt werden, die aus einem im Relief in Sandstein gearbeiteten heraldischen Reichsadler bestehen. Ihre Höhe beträgt etwa 4,2 Meter, die Breite etwa 2,7 Meter. Jeder Schild wird aus acht Werkstücken zusammengesetzt, deren Farbe und Korn genau zusammenpassen müssen. Dem Vernehmen nach ist die Ausführung der Arbeiten und Lieferungen für die Wappenschilder der Kieler Bildhauerfirma Schlauch & Rößler, A. Müllenhoff Nachf., übertragen worden.

Am 21. Juni 1911 besichtigte der Kaiser an Bord seiner Jacht Hohenzollern auch die Arbeiten an der Prinz-Heinrich-Brücke. Eine patriotisch gefärbte Momentaufnahme des Kanalbaus liefert auch der Bericht über einen Besuch von Mitgliedern des Görlitzer Gewerbevereins aus dem August 1892:

Um 3 Uhr wurde per Extradampfer nach Holtenau gefahren, um die Schleusen des Nord-Ostsee-Kanals zu besichtigen. In liebenswürdiger Weise waren Führer dem Verein gestellt und, und ein königlicher Baumeister erklärte dem Trupp, welchen ich mich angeschlossen, in klarer und eingehender Form den Bau. Man kann sagen, dieser Bau ist ein Triumph der deutschen Baukunst, und man kann getrost der Benutzung entgegensehen, wenn man die Solidität betrachtet, mit welcher der Bau angefangen und fortgeführt wird. Der Kanal wird 98 Kilometer lang; beide Schleusen sind nur zum Schutz gegen zu hohen und niedrigen Wasserstand gebaut. Es sind zwei Schleusenkammern, welche durch eine 7 Meter breite Mauer getrennt sind. Sie sind 150 Meter lang und 25 Meter breit, also groß genug, die mächtigsten Kriegsschiffe aufnehmen zu können. Mächtiges haushohes Mauerwerk steigt empor aus dem Grunde, groß genug um unsere Peterskirche hineinstellen zu können. Große Thorflügel werden angebracht, um die Schleusen zu schließen. Dieselben haben eine Stärke von 6 Metern, und legt man alle 24 Thorflügel übereinander, so bekommt man die respektable Höhe von 144 Meter heraus. Der Granit, welcher zum Bau verwendet wird, stammt aus Schweden. Aus der uns bekannte Stampfbetonstein findet zur Ausfüllung Verwendung. Der Besuch des Museums war auch sehr interessant. Die dort befindlichen Karten wurden von dem königlichen Baumeister eingehend erklärt. So war u. A. auch die sogenannte ’Kaviarkarte’, welche ihren Namen von den vielen Punkten hat, die sich um den Rand der Festländer herumziehen. Diese schwarzen Punkte bezeichnen die Schiffe, welche in der Zeit vom Jahre 1868 bis jetzt an den Küsten dort zu Grunde gingen. Es sind dies nicht weniger als 6300. Eine traurige Zahl, welche verschwinden wird, wenn der Kanal dem Betriebe übergeben sein wird. [...]
Im Museum waren noch allerlei Funde ausgestellt, welche während des Baues bei den Ausschachtungen und Baggerungen gemacht wurden. Außer zahlreichen, zum Theil köstlichen Bernsteinstücken reihen sich dort mächtige Hirschgeweihe und Mammuthknochen an einander; schön geformte Urnen und uralte Spangen liegen neben vom Rost der Jahrhunderte überzogene Klingen, und reizvolle Krüge von der Holstein eigenen Fayence fesseln neben kunstreichen, eisernen Hausgeräth die Aufmerksamkeit. Es ist ein hübscher Zug, daß man dafür Sorge trug, alle diese Funde zu sammeln, die sonst leicht durch den Eigennutz und den Unverstand der Arbeiter völlig verloren gegangen oder doch in alle Winde zerstreut worden wären. [...]
Die Arbeiter wohnen in Baracken und erhalten ihre Verpflegung aus eigenen Kantinen, die Speise und Trank zum Selbstkostenpreise dem Arbeiter abgeben. Es sind auch viel italienische Arbeiter beschäftigt. Dieselben sind sehr fleißig und nüchtern. Sie haben nur den Fehler, den Regen nicht vertragen zu können. [...]
Bei der Schleuse sahen wir das Einschießen von Torpedos. Ungefähr 300 und 400 Meter vom Strande entfernt befanden sich zwei Scheiben. Nach diesen Scheiben wurde das Torpedo, blind natürlich, abgeschossen. Man sah deutlich die Bahn, welche das Torpedo im Wasser machte und dasselbe am Zielpunkt emportauchen.
Das Geschoß wurde von dem wachthabenden Matrosen aufgefischt und an den Strand zurückgebracht. Diese Torpedos werden genau eingeschossen, so daß Wellen und Wind ihnen nichts anhaben resp. vom Ziel abbringen können.

Besuche des Kaisers oder seiner Familie gab es auch bei der Einweihung der Dankeskirche, der Einweihung der Prinz-Heinrich-Brücke oder auf der Seeflugstation Holtenau.

Siehe auch:

© Bert Morio 2019 — Zuletzt geändert: 30-03-2019 09:03

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